Der brasilianische Industriedesigner Pedro Luiz Pereira de Souza war als Student, Professor und Direktor an der Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) in Rio de Janeiro. Er hat die Bücher ESDI: biografia de uma ideia (1996) und Notas para uma história do design (1998) geschrieben.

Zoy Anastassakis (ZA), Marcos Martins (MM):
Inwiefern hatte aus Ihrer Sicht das Bauhaus einen entscheidenden Einfluss auf den Lehr- und Lernansatz der Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI)? Können Sie uns Ihre Ansicht anhand von ein paar Momenten, Situationen oder Unterrichtsaktivitäten erläutern?

Pedro Luiz Pereira de Souza (PS):
Ich antworte auf diese Frage nicht direkt, denn meine Antwort wäre dann sehr einfach: Das Bauhaus hatte keinen entscheidenden Einfluss. Diese Ansicht mag mit der anderer nicht übereinstimmen, darüber kann jeder anders denken oder fühlen. Die Formulierung der Frage an sich ist problematisch, da sie eine positive Antwort darauf impliziert, wie Bauhausreferenzen die Lehr- und Lernansätze an der ESDI beeinflusst haben. Es gab gelegentlich Professor*innen, die vom Bauhaus beeinflusst waren. Dafür waren zum Beispiel Daisy Igel und Renina Katz typisch. Erstere hatte eine außerordentliche Professur und blieb nicht lange an der Hochschule, nahm aber Einfluss auf Studierende, die später selbst unterrichteten. Igels Verbindung zum Bauhaus stammte von ihrer Ausbildung in den USA, wo sie Bauhausprofessoren kennenlernte, die emigriert waren und an unterschiedlichen Universitäten in den USA lehrten. Einer von ihnen war Josef Albers. Doch auch Konrad Wachsmann und andere europäische Architekten, die sich auf das Bauhaus bezogen, sowie der Amerikaner Buckminster Fuller, der ebenfalls ans Bauhaus anknüpfte und den sie „Bucky“ nannte, als er nach Brasilien kam, waren genauso wichtig für sie wie ihre Kontakte zu ehemaligen Bauhäusler*innen. Renina Katz, eine weitere außerordentliche Professorin, war eine Künstlerin mit großer Lehrerfahrung, darunter an der Faculdade de Arquitetura e Urbanismo (Fakultät für Architektur und Stadtplanung) an der Universidade de São Paulo (FAU/USP). Sie wusste sehr viel über Kritik und Analyse in der Kunstlehre. Ihre Lehrmethoden waren mit Sicherheit auch, aber nicht nur vom Bauhaus geprägt. Meiner Meinung nach wäre es aber falsch zu behaupten, dass die frühe ESDI direkt vom Bauhaus beeinflusst war.

Das Bauhaus und die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm mit der ESDI in Verbindung zu bringen, ist schon fast zu einem Werbeslogan geworden. Mir scheint das vor allem eine rhetorische Angelegenheit zu sein und das Produkt einer überbordenden Fantasie. Ich finde, dass Bezüge zum Bauhaus und zur HfG an vielen Orten wie Brasilien, Indien und anderswo viel mehr in Beziehungen sichtbar sind, die nicht wirklich etwas mit der Pädagogik zu tun haben. Es wird immer einen Vorkurs oder Grundlagenkurs geben – wie auch immer man ihn nennen will –, der auf das Bauhaus zurückgeht. Aber das allein steht nicht für einen objektiven Einfluss der Bauhauspädagogik auf den ursprünglichen pädagogischen Aufbau dieser peripheren Schulen. Tatsächlich übernahmen viele Hochschulen einfach die Nomenklatur, fast wie eine Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zur Moderne. Das war im Großen und Ganzen bei der ESDI nicht der Fall.

Sogar das pädagogische Programm der Escola Técnica de Criação (ETC, Technische Schule für Gestaltung) am Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro (MAM/RJ; Museum für moderne Kunst), das als eine der Grundlagen für das ESDI-Projekt gilt, war enger mit Ulm verbunden als mit dem Bauhaus, denn an der Gründung waren Otl Aicher und Tomás Maldonado beteiligt. Zu dieser Zeit (in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre) waren sie mit der Planung der Hochschule in Ulm beschäftigt. Maldonado, der 1994 Vorlesungen sowohl am MAM/RJ als auch am ESDI hielt, erzählte mir und Karl Heinz Bergmiller in einem Gespräch, dass er zwar beteiligt war, als die Grundlagen der ESDI geschaffen wurden, dass seine Rolle aber überschätzt werde. Das legt nahe, dass Aicher den größten Einfluss auf das Vorhaben nahm. Andererseits denke ich persönlich, dass es offensichtlich auch Kriterien für das Projekt gab, die ihre Wurzeln in pädagogischen Elementen haben, die nicht deutschen Standards entsprechen, sondern bei denen stattdessen amerikanische Einflüsse vorherrschten, die vermutlich vom Museum of Modern Art (MoMA) in New York ausgingen. Das MoMA war eines der wichtigsten Vorbilder für das MAM/RJ, vielleicht durch die Vermittlung von Elaine Lustig, einer fabelhaften Grafikdesignerin, die zu dieser Zeit in den USA lebte, enge Beziehungen zum MoMA pflegte und den ersten Katalog des MAM/RJ gestaltete. Das alles ist natürlich nur geraten. Und wie es zurzeit in diesem Land in Mode ist, könnte man sagen, dass es dafür „keinen wissenschaftlichen Beweis“ gibt. Wie dem auch sei, der Inhalt des pädagogischen Programms der Escola Técnica de Criação ist ganz eindeutig nicht vom Bauhaus hergeleitet und auch nicht vollständig aus Ulm. Das Programm findet sich in meinem Buch über die ESDI als Reproduktion aus dem Einführungskatalog für das MAM/RJ, von dem es außerhalb des Museums kaum noch Exemplare gibt.[1]

 

[1] Pedro Luiz Pereira de Souza. ESDI: biografia de uma ideia. Rio de Janeiro: Ed. UERJ, 1996.

Es wäre besser, weniger überheblich und akademisch zu sein und zu akzeptieren, dass es sich bei dem, was vom Bauhaus an der ESDI und anderen Hochschulen zu finden ist, eher um Inspiration als um eine direkte Bezugnahme handelt. Es lohnt sich, an das zu erinnern, was Bergmiller über den Einfluss der HfG auf die ESDI gesagt hat. Er bestand darauf, dass eine Übertragung von Deutschland nach Brasilien unmöglich sei, was nicht zuletzt an den Unterschieden zwischen den beteiligten Professoren an den jeweiligen Projekten läge. Er merkte außerdem an, dass diese Unterschiede vor allem kulturell seien. Dennoch versuchte die ESDI zu Beginn, ein recht umfassendes Curriculum aufzustellen mit Disziplinen, die bis dahin nicht als Themen für Seminare im kreativen Bereich betrachtet wurden, noch nicht einmal am Bauhaus. Dazu gehörten Kulturanthropologie (José Bonifácio Martins Rodrigues, Soziologe), Unternehmensplanung (Euryalo Cannabrava, Ingenieur), Einführung in die Logik (Jorge Emmanuel Barbosa, Mathematiker), Psychologie und Wahrnehmungstheorie (Antonio Gomes Penna, Psychologe), verbale Kommunikation (Zuenir Ventura, Journalist), Informationstheorie (Décio Pignatari, Semiologe und Dichter), Produktions- und Materialtheorie und anderes mehr. Außerdem wurden die Bezeichnungen, Inhalte und Zielsetzungen von Fächern wie „Komposition“ und „Ausdruck“ geändert. Sie hießen nun unter anderem „Visuelle Methodik“, „Analyse der Repräsentationsmittel“ und „Zeitgenössische visuelle Kultur“. Dass das vielfältige Wissen in Kategorien eingeteilt wurde, ging nicht auf den Einfluss des Bauhauses zurück, sondern eher auf den der HfG. Und das war es auch, was die HfG vom Bauhaus unterschied. Dies war einer der Gründe für die Unstimmigkeiten zwischen dem Hochschuldirektor und Bauhausabsolventen Max Bill und den jüngeren sogenannten Professoren – Tomás Maldonado, Claude Schnaidt, Martin Krampen, Hanno Kesting, Horst Rittel und Gui Bonsiepe – sowie denen, die sich am intensivsten mit den Designbereichen befassten, etwa Otl Aicher, Hans Gugelot und Walter Zeischegg. Sie die „Jüngeren“ zu nennen, ist ein Euphemismus, denn mit Ausnahme von Bonsiepe war der Altersunterschied nicht der Rede wert. Neben den Egos machte sicherlich ein technisches Update im Hinblick auf das Bauhaus einen Teil der Konfrontation aus, aber auch die klare politische Definition der Hochschule, von der Historiker wie Charles Jencks glaubten, sie engagiere sich für eine „neue Linke“.[2]

 

[2] Charles Jencks. Modern movements in architecture. Harmondsworth, UK: Penguin Books Ltd., 1973.

Die Einflüsse, die sich zu Beginn an der ESDI erkennen ließen, konnten noch nicht als linksgerichtet bezeichnet werden, anders als während einer kurzen Zeitspanne nach 1964. Dennoch lehnte sie sich gegen die Traditionen in der bildenden Kunst und im Kunsthandwerk auf, die es zuvor in Rio de Janeiro gegeben hatte, etwa an der Academia Imperial de Belas Artes (1816, Kaiserliche Akademie der schönen Künste), die später Escola Nacional de Belas Artes (1890, Nationale Schule der schönen Künste) hieß, und am wissenschaftlich vernachlässigten, wenn auch progressiven Liceu de Artes e Ofícios do Rio de Janeiro (1856, Höhere Schule für Kunst und Kunsthandwerk Rio de Janeiro). Letztere hatte der Architekt Francisco Joaquim Béthencourt da Silva entwickelt, und sie wurde von Rui Barbosa gepriesen und gefördert. Rui Barbosa wusste viel über die Pädagogik der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks jener Zeit, vor allem über die aus England stammenden Ansätze. Er war vermutlich einer der ersten brasilianischen politisch aktiven Industriellen und davon besessen, eine Bildungsform zu entwickeln, die auf Design, Meinungsfreiheit und kreativer Freiheit beruhte und bei der es um partizipatives Lernen statt um kleinteiliges, etabliertes Wissen ging. Eine freie Art des Lehrens, die auf aktiver Beteiligung beruhte, wurde in Brasilien also schon vor den 1950er-Jahren propagiert. Sie wurde vorher aber wohl nicht besonders geschätzt, denn die Bildungsreform, die am Übergang vom Kaiserreich zur Republik durchgeführt wurde, stand letztlich unter dem viel größeren Einfluss von Benjamin Constant und seinem Positivismus als unter dem der liberalen Vorschläge Barbosas. Seither haben die positivistischen Militärs, denen das intellektuelle Format eines Benjamin Constant fehlte, der im Übrigen ein großer Verehrer von Barbosa war, darauf bestanden, Unglück über das Land zu bringen. Die republikanische Bildungsreform war nicht nur positivistisch, sondern auch autoritär und elitär und stellte kreativere Bildungsinitiativen zurück. Was die liberaleren, kreativeren Unterrichtsformen angeht, so lassen sich merkwürdige Verbindungen zur Erneuerung eines protestantischen Ansatzes und traditioneller katholischer Bildung im Land ziehen, wie es Gilberto Freyre in Ordem e Progresso[3] tat. Pädagogische Erneuerungen waren in vielen Fällen offensichtlich an den Protestantismus gebunden – nicht zu verwechseln mit den Evangelikalen der Neupfingstkirchen, die sich nur selten mit Bildung zu befassen scheinen –, und natürlich gab es Einflüsse aus England, Deutschland, den Vereinigten Staaten und aus den sozialistisch orientierten, reformerischen Bereichen in Italien.

[3] Gilberto Freyre: Ordem e progresso. Rio de Janeiro: Livraria José Olympio Editora, 1959.

Doch ich möchte lieber ein paar Anmerkungen zu etwas machen, was wohl vor der Gründung der ESDI passiert ist, und einen Einfluss diskutieren, den das Bauhaus auf die Vorstellung der Designer meiner Generation gehabt haben könnte. Zu diesem Zweck greife ich auf eine Analogie mit einer anderen, als universell geltenden Vorstellung oder Idee zurück, die aus Europa zu uns gebracht wurde, um uns zu zivilisieren oder uns als Orientierung zu dienen. Wie ich schon erwähnt habe, ist der direkte Einfluss der Bauhauspädagogik in verschiedenen Ländern, Situationen oder Umständen Teil eines oft wiederholten Mythos. Das erinnert mich an die angebliche „Erklärung der Menschenrechte“, die oft – und heutzutage sehr vehement – zitiert wird, obwohl es sie nie gegeben hat. Hinzu kommt der bis zum Überdruss von einigen der widerwärtigsten nationalen Politiker wiederholte Refrain vom „demokratischen Rechtsstaat“, den es in diesem Land auch nie gegeben hat. Ich fange gar nicht erst an, über Letzteres zu sprechen, sonst höre ich vielleicht nicht mehr auf.

Es hat nie eine „Erklärung der Menschenrechte“ gegeben. Es gab eine „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“, die während der Französischen Revolution proklamiert wurde. Glaubt man einem aktiven Teilnehmer der Versammlung, die sie hervorgebracht hat (Adrien Duquesnoy, der Delegierte aus Nancy, zitiert von Christine Fauré in Les déclarations des droits de l’homme et du citoyen, de 1789[4]), so entstand sie aus dem schlechtesten von vielen Entwürfen, denn sie bemühte sich um etwas, was das Bürgertum immer schon angestrebt und nie erreicht hat: Konsens. Immer wenn über eine „Bauhauspädagogik“ gesprochen wird, glaube ich, dass auch dann niemand wirklich weiß, was das bedeutet. Gibt es nur ein Bauhaus und eine Pädagogik? Maldonado argumentierte in seiner Korrespondenz mit Walter Gropius, die in der Zeitschrift Ulm (Nr. 8/9 und 10/11, 1962) veröffentlicht wurde, dass er anders als der große Architekt die Hochschule nicht nur mit einem Wesen und einer Pädagogik sah, er fand sie „facettenreich“. Tatsächlich scheint es ebenso mühselig wie illusorisch zu sein, zwischen Johannes Itten, Paul Klee, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy, Josef Albers, Ludwig Hilberseimer, Hannes Meyer und vielen anderen an dieser Hochschule, die alle eigene künstlerische, formale, politische und ideologische Ausrichtungen hatten, einen Konsens herstellen zu wollen – das wäre nur ein weiteres Streben nach unerreichbarer Übereinstimmung. Der Versuch, die Vorstellung von einem Bauhaus, in dem alle an einem Strang ziehen, wiederzubeleben, ist wie das Bemühen, mit dem Gropius 1962 in seiner Korrespondenz mit Maldonado die Idee wiedererwecken wollte. Er fand, dass es ein idealisiertes, erfolgreiches, stabiles Bauhaus in Dessau gegeben habe, das frei war von den mystischen, intuitionistischen Exzessen eines Johannes Itten oder den asketischen, calvinistischen Formalismen Theo van Doesburgs aus der ersten Phase der Schule und das in seiner dritten Phase, die unter Hannes Meyer begann und später unter Ludwig Mies van der Rohe abgeschlossen wurde, von radikalen linksorientierten politischen Einstellungen beschmutzt wurde.

[4]  Christine Fauré. Les déclarations des droits de l’homme de 1789. Paris: Ed. Payot, 1988.

Greift man auf die Analogie mit der „Erklärung der Menschenrechte“ zurück, so erscheint diese Wiederauferstehung eine Art Sühne für die vielen Absurditäten, die aus zwei Ideen entstanden, die für das Bauhaus und seine deutsche Nachfolgerin, die HfG Ulm richtungsweisend waren. Sie sind die Grundlage dessen, was man modernes Design nennen könnte: Industrialismus, eine Ideologie, die versuchte, sich unangemessenerweise die Idee der Fortschrittlichkeit anzueignen oder als Verkörperung dieser Idee durchzugehen, und der modernistische Formalismus, ein kurzer, schamloser Weg über das Styling zum Konsumerismus. Diese Vorstellung wird ebenso oft kritisiert wie missverstanden, denn sie gilt als nordamerikanisch, hat ihre Wurzeln in Wahrheit aber im Bauhaus selbst. Hinter dieser Reue steht der vorherige Verzicht auf politische und soziale Interpretationen, die schon immer zu den Grundlagen des modernen Designs gehörten, vor allem die sozialdemokratischen Diskussionen und Mobilisierungen des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland, wo versucht wurde, eine bürgerliche Republik zu etablieren, die zumindest einige der Forderungen der Menschenrechte (des Bürgertums) umsetzen wollte. Wenn man diese Aspekte bei der Betrachtung der in Deutschland angestrebten Pädagogiken, zu denen die Bildung und Bestätigung des Staats selbst gehörten, außer Acht lässt, wird alles auf isolierte Fakten und Objekte beschränkt, darunter auch das Bauhaus selbst. Das Bauhaus war zu dieser Zeit schließlich nicht die einzige Designschule in Deutschland. Es waren genau solche isolierten Betrachtungen, aus denen die amerikanische Interpretation des Bauhauses hervorging. Sie kam vom MoMA in New York und stammte vor allem von Philip Johnson und Alfred Barr, dem damaligen jungen, dynamischen Direktor des Museums. Daraus entstand die Entwicklung eines amerikanischen Konzepts von „gutem Design“, das sich in mancherlei Hinsicht von der deutschen „guten Form“ unterschied. Beide drücken aber in einem formalen Sinn letzten Endes dasselbe aus. Sie unterscheiden sich darin, dass Ersteres sich auf Produkte bezieht, die es aufgrund ihrer formalen Qualität wert wären, in die Designsammlung eines Museums wie dem MoMA aufgenommen zu werden oder in die klimatisierten kalten Knoll- oder Hermann-Miller-Läden. Das Privileg, sie zu berühren, wäre denen vorbehalten, die sie sich leisten könnten. Die zweite Variante bezieht sich dagegen auf die notwendige Qualifikation, die das Design und die Herstellung eines Produkts braucht, um diesen Wert zu erreichen. Das erste Beispiel, so könnte man argumentieren, bringt einen Bauhausstil hervor, dessen Ableger sogar Formalismen wie Styling und Rationalisierung beinhalten. Aus der zweiten Variante entstand der Stil der Ulmer Schule, der schließlich in Braun- und in jüngerer Zeit sogar Apple-Produkten seinen visuellen Ausdruck fand – Formen, die dem Geschmack der eleganten Bourgeoisie entsprachen.

Um auf die Analogie mit der „Erklärung der Menschenrechte“ zurückzukommen, könnte man sagen, dass diese Rechte nirgendwo auf der Welt je zum Tragen gekommen sind, genau wie die Bauhauspädagogik nirgendwo außer am Bauhaus implementiert war. Was bedeuten sie also, und was sind sie wert? Schließlich werden sie immer wieder heraufbeschworen. Von den Menschenrechten glaubt man, sie hätten trotz der demokratischen Glaubenssätze, die um sie herum aufgebaut wurden, einen universellen Wert. Sie sind aber weder gleich noch allgegenwärtig, noch nicht einmal im Westen, woher sie kommen. Wann auch immer die vorherrschende Politik sich verändert, verändert sich auch die Bedeutung dieser Rechte. Sie stehen dann für die Überzeugungen, die ihnen mit einer Militanz aufgezwängt werden, die an politische Parteilichkeit oder religiöse Bedeutung grenzt. All das bringt eine Art Transzendenz mit sich, die schließlich eine beinahe mystische Hegemonie ausübt. Zu dieser mentalen Verfassung gehören Auferstehungen ebenso wie Gedenkfeiern und Feste. Die Vorstellung einer intensiven Erforschung des Bauhauseinflusses in den Tropen, 100 Jahre nach der Eröffnung der Hochschule, ergibt sich in einem gewissen Maß aus dieser inbrünstigen Sichtweise. Die Vergangenheit zu untersuchen, ist ein riskantes Unterfangen. An dieser Stelle erinnere ich mich an die Worte von Pedro Malan, einen – jedenfalls was mich betrifft – würdevollen und angesehenen hochrangigen brasilianischen Beamten (Direktor der Zentralbank und Finanzminister), die ich hier zitieren möchte. Für ihn war „in Brasilien sogar die Vergangenheit unsicher“. Die Vergangenheit zu betrachten, ohne sie als Referenz für die Gegenwart oder Zukunft zu sehen, ist problematisch. In den letzten Jahren habe ich daran gearbeitet, alle Texte und Quellen zusammenzusuchen, die ich in meinem Unterricht gebraucht habe. Das stellte sich als lange Analyse und Kritik des modernen Designs heraus. Darum ist das Bauhaus ein wichtiger Teil dieser Arbeit, und das könnte auch gar nicht anders sein. Ich habe jedoch entschieden, diese Präsenz als etwas zu betrachten, dessen Wert zeitlich begrenzt ist und das deshalb veränderbar ist. Ich denke an Riobaldo, eine Figur aus dem Roman Grande Sertão, der sagt: „Das Wichtigste und Schönste an der Welt ist das: dass die Menschen nicht immer gleich sind, dass sie noch nicht fertig sind – sondern dass sie sich ständig verändern.“[5] Und so verhält es sich glücklicherweise auch mit Ideen. Ich finde es komisch, dass man nicht versteht, dass man das, was man schätzt, tötet, wenn man die Vergangenheit ständig wiederholt. Am Ende meiner ganzen Kritik am modernen Design glaube ich noch nicht einmal, dass seine Probleme in der Überschätzung der materiellen Kultur oder in der daraus resultierenden exzessiven westlichen Objektivität liegen. Vielmehr entstehen sie daraus, dass es keine präzisere Analyse des Zeitkonzepts gab, das die gesamte Implementierung eines Industrialismus geleitet hat, der ziemlich wahnsinnig war, denn er versuchte, so viele Regeln aufzustellen, dass ihn die vielen Dinge, die er zur Vergessenheit verdammt hat, am Ende ohne Regeln zurückließen.

[5] João Guimarães Rosa. Grande Sertão: Veredas. Rio de Janeiro: Livraria José Olympio Editora, 1956.

Bei einer genauen Betrachtung ihrer Ursprünge wird die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ vielleicht deshalb so interessant, weil sie zu Beginn ein Gefühl der Menschlichkeit im einfachsten und elementarsten möglichen Sinn transportiert: „Alle Menschen sind von Natur und vor dem Gesetz gleich.“ Und dieser Primitivismus in Verbindung mit den edlen Gefühlen, die für die Aufklärung typisch sind, verbindet die beiden Seiten des aufgeklärten Menschen und lässt ihn sich zugleich einfach und komplex fühlen, seinen Mitmenschen nahe, dennoch mit einem Verständnis ausgestattet, das nur von seiner Aufgeklärtheit ermöglicht wird, also durch theoretische und philosophische Entwicklung. Daher fühlte er sich auf eine sehr europäische Art autoritär, aber großzügig, der Marxist wäscht seine Kolonialistenseele rein.

Die Vorstellung, dass es eine definierte, definitive pädagogische Konzeptionalisierung gibt, die vom Bauhaus stammt, kann aus einer ähnlichen Perspektive betrachtet werden. Obwohl ihre Existenz infrage gestellt wird, wird immer wieder behauptet, das Bauhaus habe den Architektur- und insbesondere den modernen Designunterricht überall auf der Welt beeinflusst. Dieser Einfluss ist ebenso wie der Glaube an die Menschenrechte eine Tatsache. Es ist aber auch eine Tatsache, dass, je nachdem, wen man fragt, worin der Einfluss besteht, es viele und sehr unterschiedliche Antworten gibt. Ich erinnere mich, wie ich in den 1950er-/1960er-Jahren Student in São Paulo war. Um an den Kursen der Masterstudiengänge teilnehmen zu können, musste man einen bestimmten Notendurchschnitt haben. Es gab aber auch Sonderfälle, bei denen die Kandidat*innen die erforderlichen Noten mitbrachten, aber nicht zugelassen wurden, weil alle Plätze belegt waren. Bei der FAU/USP wurde Anfang der 1960er-Jahre ein Kompromiss versucht, indem diese Studierenden der neuen Architekturfakultät zugewiesen wurden, die in Taubaté, einer Stadt im Staat São Paulo, entstehen sollte. Während der Gespräche, die zu diesem Zweck geführt wurden und aus denen nichts wurde, wurde der mögliche Präsident der Fakultät gefragt, welchem Ansatz die neue Hochschule folgen werde. Er antwortete mit dem magischen Wort: „Bauhaus“. Er hätte sich an dieser Stelle sofort in einen Superarchitekten verwandeln sollen, wovon aber nichts zu sehen war. Aber „Bauhaus“ und wie er das gesagt hat, klang wie „Et voilá!“. Da sind mir vielleicht zum ersten Mal der Glaube und die Fiktion klar geworden, die sich immer finden, wenn es um die Moderne geht, und von denen die rationalistischen Schulen und die Lehransätze für angewandte Kunst, die Architektur selbst und das Design geprägt sind. Es brauchte nur ein Wort, weitere Erklärungen waren nicht nötig, um Vorstellungen, Denkweisen und Geister um sich zu scharen. Daher, so überlegte ich mir später und vielleicht ein bisschen desillusionierter und reifer, sollte das etwas wert sein. Ein Ereignis, das sich Jahrzehnte zuvor in Deutschland abgespielt hat und dessen Bedeutung in einem einzigen Wort enthalten war, sollte mindestens so real sein wie Unsere Liebe Frau von Aparecida, die Heilige Jungfrau von Guadelupe, die Heilige Jungfrau von Fátima, Unsere Liebe Frau auf dem Berge Karmel und andere. Dieselbe Jungfrau erscheint in verschiedenen Gewändern in unterschiedlichen Ländern. Die einfache Anrufung dieser Erscheinungen ist den guten Seelen genug, um ihren Glauben fest und stark zu erhalten, ohne dass weitere Erklärungen nötig sind. Sie können weder missachtet noch ignoriert werden.

Schließlich scheint es so zu sein, dass der universelle Charakter der Menschenrechte und jeder anderen Idee, die behauptet, in eine derartige Kategorie zu gehören, nicht auf ihrem ungenauen Inhalt beruht, sondern auf ihrer Aufgabe, etwas zu repräsentieren, das sich unter verschiedenen Umständen als Slogan einsetzen lässt, als ein wirksames, effektives Instrument, mit dem man Nein sagen und protestieren, sich dem Inakzeptablen entgegenstellen und Widerstand definieren kann. Dieses negative Wesen der Menschenrechte wird sichtbarer als ihre vermeintliche Positivität. Und hier kommt die genuine Negativität des modernen Designs wieder ins Spiel, die sich nicht, wie einige impulsive Kritiker und Historiker behaupten, zuerst im Bauhaus manifestierte. Schon lange vor der Eröffnung der Hochschule und als Beweis dafür, dass es nur um eine politische und damit praktische Idee ging, machte sich Hermann Muthesius, Mitbegründer des Deutschen Werkbunds, daran, vielleicht nicht genau zu definieren, was Design und seine Lehre sind und was nicht, aber die Art von Design und seiner Lehre zu etablieren, die für den jungen deutschen Staat interessant sein und seiner Entwicklung dienen könnte. Und was von Interesse war, war in viel größerem Maß etwas, was es noch nicht als Produkt oder industrielles Objekt gab. Daher ließ es sich viel leichter durch Negation definieren, d. h. durch eine rigorose Kritik an dem, was es schon gab. Daraus ließe sich schließen, dass diese Ideale des modernen Designs, zu denen auch das Bauhaus gehört, sich viel mehr auf politische und ökonomische Ziele jener Zeit bezogen als auf wirkliche formale und ästhetische Standards, von denen man später – naiverweise – annahm, sie seien universell. Und meistens wird auf Kritik oder Lob daran, dass die Ideen von Gropius, dem Bauhaus, Bill, der HfG Ulm und so weiter anderen vermeintlich aufgedrängt wurden, mit einem Hinweis auf die formalen Fragen innerhalb einer äußerst unzureichenden, begrenzten Sicht auf die materielle Kultur geantwortet, an der sich der Westen seit der industriellen Revolution orientiert.

Und was die Menschenrechte betrifft, so ist bekannt, dass ihre positiven Inhalte – die eigentlichen Rechte, die in ihnen aufgeführt und erklärt werden – aufgrund der Mythisierung des Einzelnen, einer vorgeblichen Konstruktion von Glück als höchstem Ziel, und vor allem, weil sie vorgeben, alle die Bedeutung und den Sinn des Lebens zu lehren, angreifbar sind und von vornherein davon ausgehen, dass ihre Werte über allen anderen stehen und über jeden Verdacht erhaben sind. Doch letztlich handelt es sich um ein von bürgerlichen Intellektuellen verfasstes Lehrbuch, das die westlichen Vorrechte erhalten soll. Ihre negative Funktion, die manchmal revolutionär oder aufrührerisch sein kann, wie es in der letzten Zeit häufiger der Fall ist, hat auch die sichtbare Aufgabe, Risse in der totalitären, globalisierenden und kommerziellen Befriedigung zu erzeugen, zu der die Politik geworden ist und auch die Philosophien oder die Aktivitäten formalen Ausdrucks wie Kunst, Design und Architektur. Und nicht alle, die sich auf die Menschenrechte berufen, kennen sie wirklich. Nicht alle, die den Bauhausformalismus mit Lob überschütten, kennen seine Ursprünge. Nicht jeder, der diese Phänomene betrachtet, bedenkt ihre Herkunft und ihre westliche, bürgerliche und gelegentlich autoritäre Bedeutung. Doch indem man sie einfach ausspricht, findet man darin ein Argument und ein Instrument, das immer und für jeden erdenklichen Fall zur Verfügung steht. Darum ist es ein gefährliches Argument, das jedem dient, den Mächtigen und denen, die sich ihnen widersetzen. Darum ist es wichtig, die Umstände zu bedenken: Wird es eine Gelegenheit geben, die rechtfertigt, dass diese Rechte aufgezwungen werden, um ein größeres Übel zu verhindern? Wird es Situationen geben, in denen sie als Argument oder Slogan genau gegen die Reaktion auf dieses größere Übel dienen werden, eine Reaktion, von der manche behaupten werden, sie werde unkontrollierbar, wenn sie erst einmal ihren unmittelbaren Zweck erfüllt hat? Wird es Situationen geben, in denen die Vorliebe für Einfachheit und formale Zurückhaltung, die am Bauhaus und ganz besonders von seiner Nachfolgerin, der HfG Ulm, gepflegt wurde, wieder zum Vorschein kommt? Und wird das innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks geschehen und damit nur ein eingeschränktes Verständnis seiner Bedeutung bestehen? Diese Fragen zeigen, dass die scheinheilige, arrogante Zuschreibung von Universalität sowohl an die Menschenrechte als auch an eine 100-jährige Kunstpädagogik letzten Endes gleichbedeutend ist mit einem Verzicht auf Aufruhr und Protest, die besagte Arroganz oder die politische Bedeutung kritisieren, die im Minimalismus der Objekte, die die Designer entwerfen, enthalten ist, selbst wenn das zu Praktiken führt, deren Wesen an sich umstritten ist.

Man könnte diese Universalität daher von zwei Standpunkten aus interpretieren. Der erste wäre, nicht von der genuinen Universalität der Menschenrechte auszugehen, sondern nach einer sich immer weiterentwickelnden Universalität zu suchen, die noch nie abgeschlossen war und es nie sein wird. Die zweite Interpretation wäre, dass die Menschenrechte nicht als Bereicherung oder finite Qualität betrachtet werden, die passiv akzeptiert, belohnt oder der sich sogar unterworfen wird. Wenn sie ein verallgemeinerndes Wesen haben, muss es darin liegen, dass sie Ideen sind, die motivieren und neue Ordnungen und notwendige Unordnungen fördern. Ihr universeller Wert liegt dann in ihnen und nur in ihnen und nicht in den Bezügen und Abhängigkeiten von Repräsentationen, die in ihrem Kielwasser institutionalisiert wurden. Und genauso existiert eine Designpädagogik nicht ohne praktische Resultate. Das ist besonders heute ein fortlaufender Prozess. Der verallgemeinernde Charakter der Menschenrechtserklärung ist politisch und nichts, was von einer Theorie eingeschränkt wird, denn sie wird vom akademischen Wissen oder den Vereinten Nationen in endlosen Thesen und bürokratischen Statements transformiert und interpretiert. All diese Ereignisse sind ideologisch. Sie waren schon immer praktisch und operativ und haben sich organisch durch lange politische Entwicklungen verändert, die zu radikalen Fragen, Reformen und politischen, pädagogischen, spirituellen und formalen Rebellionen geführt haben. Diese dienen seither als Rechtfertigung jedes Handelns in jeder Situation, die sich angesichts unterschiedlicher Aktivitäten ergeben können, zum Beispiel auch beim modernen Design.

Hier muss zwischen dem, was verallgemeinernd wirkt, und dem, was verallgemeinert wird, unterschieden werden. Letzterer Ansatz betrachtet die universelle Qualität als Synonym für Wahrheit. Genau deshalb wird er immer infrage gestellt werden, denn er kann als missbräuchlich, als betrügerisch oder zumindest fragwürdig interpretiert werden. Andererseits trifft das, was als verallgemeinernd betrachtet wird, nicht auf Probleme wie die Frage nach der Legitimität, denn es stecken keine Ansprüche dahinter. Man stellt sich einfach vor, dass es existiert und etwas tut. Und gelegentliche Korrekturen, wenn man sie so nennen möchte, werden an ihrer Stärke und der Intensität ihrer Wirkung gemessen. In diesem Sinn können die Menschenrechte als starke und effektive verallgemeinernde Idee gelten. Wenn sie so betrachtet werden, ist es nicht mehr wichtig zu wissen, ob sie verallgemeinert werden können oder nicht, d. h., ob sie zur Verkündung von Wahrheiten in allen Kulturen der Welt geeignet sind. Die klare Antwort auf diese Frage ist: nein. Sie erzeugen aber mit Sicherheit einen universellen Effekt, der als bedingungslose Waffe dient, ein Instrument der Negierung, in deren Name ein Kampf von vornherein fair und Widerstand legitim ist. In diesem Sinn war vielleicht der gute Kampf gegen Konsum, falsches und grenzenloses Marketing und Werbung, wahnsinnige Industrialisierung und den räuberischen Industrialismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg begann, eine Motivation, um einigen begrenzten und radikalen Sektoren des modernen Designs, wie sie sich teilweise am Bauhaus, der HfG und auch am ESDI fanden, einen verallgemeinernden Charakter zuzuschreiben. Diese Einstellung hatten aber nicht alle oder auch nur die meisten Designer. Da aber die sogenannten Marktplayer und die eher histrionischen Bereiche der akademischen Welt entschieden haben, diesen Glauben zu verbreiten, ist es nun keine schlechte Idee, ihnen als Kompensation und Gegenangriff das monumentale Versagen zuzuschreiben, als das sich diese anderen universellen Illusionen herausgestellt haben, die sie pervertiert und sich angeeignet haben. Dazu gehört die Vorstellung, die Welt könnte irgendwann ein großer zentraler Staat sein, der allein spekulative und finanzielle Wohltaten und Strafen verteilt, oder die Idee vom Big Business als endlosem Universum aus Dienstleistungen, als riesigem unerschöpflichem Markt, ein globales Franchise, das von bedeutungslosen Adjektivierungen und von einer absoluten Inkompetenz selbst bei der Durchführung des guten, alten Konzepts eines Projekts beherrscht wird.

Wenn die „Erklärung der Menschenrechte“ allmählich zu einem politischen Argument transformiert wurde und als solches gültig bleibt, bedeutet das, dieses Argument in einen Bereich der Spiritualität zu verweisen. Man könnte vielleicht genauso im Hinblick auf ein Konzept wie das Bauhaus argumentieren, nicht so sehr wegen seiner unpräzisen, instabilen Pädagogik, wie es sie auch bei der HfG Ulm und in den Anfangsjahren der ESDI gegeben hat, sondern weil es sich als experimentelle Schule konstituiert hatte, die ihrer Zeit offen gegenüberstand und sich von den bürokratischen, schwerfälligen Angelegenheiten befreite, die große Universitäten und ihre akademischen Einheiten (Aktenschränke) beherrschten.

ZA, MM:
Bitte kommentieren Sie Aspekte des Modells und der pädagogischen Praktiken der ESDI, die im Vergleich mit dem Bauhausmodell etwas Neues hervorgebracht haben.

PS:
Ich glaube, dass die Antwort auf die erste Frage bereits viel von dem abdeckt, was hier gefragt wird. Einer der wichtigsten Aspekte aus den Anfängen der ESDI (ich würde sagen, dass diese Phase bis 1972/73 dauerte, als die Integration der Hochschule in die UERJ, die Universität des Bundesstaats Rio de Janeiro, erwogen wurde) war die curriculare Instabilität, die ich in der Antwort auf die erste Frage erwähnt habe. Alle scheinen zu glauben, dass der Lehrplan nach 1968 aufgrund der massiven politischen Mobilisierung verändert wurde, die von den Professor*innen und vor allem den Studierenden ausging. Tatsächlich kamen die Vorschläge für eine Änderung der ursprünglichen Lehrpläne von Professor*innen selbst. Und sie wurden noch nicht einmal umgesetzt. Nicht etwa, weil es ihnen an Qualität gemangelt hätte, sondern einfach, weil zu dieser Zeit die Studierenden jedes Curriculum aus grundlegenden politischen Gründen unannehmbar gefunden hätten. Jeder Vorschlag wäre für autoritär gehalten worden. So war das zu jener Zeit. Trotz dieser negativen Einstellung war dies wohl die Zeit, in der die verschiedenen pädagogischen Modelle, die in den jeweiligen Designbereichen zum Einsatz kamen, am eingehendsten studiert und kritisiert wurden. Sie wurden denen, die bis dahin nichts darüber wussten, bewusst, und die, die schon informiert waren, lernten noch mehr darüber, was das Bauhaus war und was die HfG war, denn die gab es zu dieser Zeit ja noch. Auch wurden amerikanische und skandinavische Programme diskutiert, und es gab die Annahme, dass es einen diesbezüglichen pädagogischen Ansatz in Italien gab. Die Treffen für die Formulierung eines neuen Lehrplans waren endlos lang, manchmal kreativ und spaßig, manchmal entnervend willkürlich und ergebnislos. Und alle standen unter der zunehmend radikalen und brutalen Diktatur dessen, was außerhalb der Schulmauern vor sich ging.

Die Versuche, ein selbst entwickeltes, nationales Modell anstelle eines vermeintlich „importierten Modells“ zu entwerfen, waren manchmal interessant und manchmal lächerlich. Es gab von allem etwas: ein bisschen Futurologie, ein bisschen Vergangenheitsbezogenheit, ein bisschen ungezügelte Wissenschaftsgläubigkeit und Schamanismus und hin und wieder auch mal gesunden Menschenverstand. Doch ich glaube, dass nach 1972, als das neue Curriculum eingeführt wurde, das ebenso zusammengeflickt war wie die „Erklärung der Menschenrechte“ (wie der schon erwähnte Adrien Duquesnoy beschrieb), die Frage, ob die Hochschule eine Tochter der HfG oder eine Enkelin des Bauhauses war, nicht mehr gestellt wurde. Das Curriculum war zwar problematisch, aber es war das, was damals möglich war. Einige Professor*innen begannen früh ihre Karrieren. So gut wie alle von ihnen hatten gerade erst ihr Studium beendet, und zwar an dieser Hochschule. Sie waren unerfahren, wenn es um Didaktik ging, brachten aber viel Diskussionserfahrung mit und waren nicht bereit, sich zu unterwerfen, und sie waren doch in der Lage etwas zu verstehen, was wirklich ein Erbe des Bauhauses und der HfG Ulm sein könnte, wenn auch etwas vom Mythos verschleiert: die Abneigung gegen formale Disziplin. Dem vorgeschlagenen Curriculum begegneten sie mit wenig Respekt, obwohl es paradoxerweise als Grundlage für die Schaffung eines Minimalcurriculums für Design diente, das das Bildungs- und Kulturministerium offiziell billigte. Die, die es geschaffen hatten, zweifelten auch an ihm, und die, die es absegneten, wussten nicht, was es bedeutet. Diese Abneigung gegen formale Disziplin ging mit einem Verhalten einher, das sich schon in der ersten Dekade der Hochschule beobachten ließ, als es in der Schule die größten Konflikte gab. Keine Lehrkraft dort kam auch nur auf den Gedanken, gegen einen Studierenden disziplinäre Konsequenzen zu verhängen, selbst in so kritischen Situationen wie bei den Vollversammlungen 1968. Die Professor*innen dieser ersten Generation lernten aus dieser Erfahrung, und ich persönlich glaube, dass sie auch die Vorstellung akzeptierten, dass Lehren konfliktbeladen und gerade deshalb gesund sein kann. Die konfliktreiche Geschichte des Bauhauses und der HfG wurden an der ESDI als Einflüsse wahrgenommen, die sich nicht so sehr auf das Lehrprogramm auswirkten, sondern auf das Verhalten großer Teile des Lehrkörpers und der Leitung (Carmen Portinho, eine Ingenieurin, und ihre unmittelbaren Nachfolger*innen, sämtlich Designer*innen, die an dieser Hochschule studiert hatten). Was den Lehrplan oder etwas in der Art betrifft, so war nichts großartig mit dem Bauhaus verknüpft. Das Verhalten in der Schule aber, die Toleranz und die Akzeptanz von Unterschieden gingen irgendwie auf das Bauhaus und die HfG zurück, die jedoch als experimentelle Schulen idealisiert wurden.

ZA, MM:
Was glauben Sie: Welche Referenz zum Bauhaus hat überlebt, wenn man auf die Bildungspraxis der ESDI blickt? Und was gab es am Anfang und hat später seine Dominanz verloren?

PS:
Ich möchte nichts zur Hochschule sagen, wie sie heute ist, denn ich bin schon seit sechs Jahren im Ruhestand und nicht mehr Teil ihres Alltags. Es ist schon einige Jahre her, dass ich einen Bauhausbezug in der Gestaltung der Bildungspraxis gesehen habe, und ich sehe auch im internen Verhalten nun keine Referenzen mehr, wie ich sie oben geschildert habe. Ich finde, dass der Anschluss der Hochschule an eine formale Universitätsstruktur ihr viel von ihrer Vitalität genommen hat, die daraus entstand, dass sie nicht verpflichtet war, etwas „richtig zu machen“. Ich weise immer gerne darauf hin, dass am Ende der Krise, die zur Schließung der HfG Ulm führte, der Vorschlag gemacht wurde, die HfG in die Universität Stuttgart einzugliedern. Dort arbeitete übrigens Max Bense, der Kontakte und enge Beziehungen zur HfG pflegte und der ein gutes Gespür für den brasilianischen Konkretismus und für die ESDI in ihrer Anfangszeit hatte. Er entwickelte dort einen mythologischen Kurs, den damals nur wenige verstanden und übernahmen. Der Vorschlag wurde an der HfG rundweg abgelehnt. Max Bill, der zu dieser Zeit schon nicht mehr an der HfG tätig war und der heute zum Idol stilisiert wird – eine Legende behauptet sogar, er sei „ein Linker“ gewesen – war für die Integration in die Universität, vielleicht sogar, um erneut dem wahrhaft linken Standpunkt zu widersprechen, den die Hochschule einnahm, nachdem er sie verlassen hatte. Otl Aicher erklärte ganz kategorisch, dass das Angebot anzunehmen bedeuten würde, unter der Misere der großen Universitätsinstitutionen arbeiten zu müssen, die nie in der Lage waren, sich in eine echte Konfrontation mit der Praxis zu begeben.[6]

[6] Vgl. Kenneth Frampton: „Ulm: Ideologie eines Lehrplans“, in: Archithese, Nr. 15, 1975.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die ESDI schon seit einiger Zeit eine anachronistische Struktur inklusive eines Vorkurses, dessen Wesen selbst denen, die ihn unterrichteten, entweder unbekannt war oder von ihnen falsch interpretiert wurde. Ich hörte sogar Absurditäten wie die Interpretation, wonach dieser Vorkurs ein Schritt sein sollte, um das Niveau der Studierenden anzupassen. Das ursprüngliche Konzept des Vorkurses, ob am Bauhaus, der HfG oder der ESDI, sollte eine Zeit des Erfahrungsaustauschs und des Umgangs mit Unterschieden sein. Die Einheitlichkeit sollte aus der Kritik entstehen und nicht durch das Aufzwängen alter Konzepte, über die sich schließlich noch nicht einmal der Lehrkörper einigen konnte. Diese Einstellung ermöglichte die kreative Koexistenz der verschiedenen Persönlichkeiten und Ideen von Professoren der zweiten Generation wie Karl Heinz Bergmiller, Alexandre Wollner, Aloisio Magalhães, Renina Katz, Frederico de Morais, Zuenir Ventura, Décio Pignatari und so vielen anderen, die sich gleichermaßen unterschieden. Einheitlichkeit und Konsens zu suchen, war nie eine Eigenschaft der Hochschule in ihren ersten Dekaden, und das blieb auch noch eine ganze Weile so. Ich glaube, das ist nun verloren gegangen – dieses Recht auf Unstimmigkeit oder sogar die Fähigkeit, Konsistenz als ein fundamentales Element des Projekts zu hinterfragen. Komischerweise war diese Diversität offensichtlich, sobald ein paar Studierende aus den Generationen, die den ersten sechs oder sieben Jahren der Hochschule folgten, sich über die „exzessive Freiheit“ beklagten, die die Professor*innen zuließen, oder über die unterschiedlichen Meinungen über ihre Aufgaben. Sie mussten davon überzeugt werden – normalerweise von der Schulleitung, die sich mit den Beschwerden und der schlechten Laune der Studierenden auseinandersetzen muss –, dass Freiheit weder mit Mangel noch mit Exzess zu tun hat und dass Widerspruch zu Kreativität führen kann. Auf der anderen Seite war das ein anderes allgegenwärtiges Merkmal der Hochschule, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass sie so klein war: der freie Austausch zwischen Professor*innen, Studierenden und Schulleitung. Das scheint auch schon an den Musen dieser Schule, am Bauhaus und der HfG, der Fall gewesen zu sein.

Was also die Frage betrifft, so habe ich sie eher rückwärts beantwortet, denn ich glaube, ich habe mehr darüber gesprochen, was es zuerst gab und was es noch immer gibt, zumindest bis zu der Zeit, als ich gegangen bin. Was die Lehrplaninhalte betrifft, so ergab viel von dem Wissen, das anfangs vermittelt wurde, keinen Sinn mehr. Aus diesem Grund habe ich, solange ich Präsident der Hochschule war, darauf bestanden, dass sie noch einmal etwas wagt und die Vorstellung von einem Curriculum aufgibt und stattdessen die Lehre jedes Jahr oder in relativ kurzen Zeitabständen wieder erneuert und sich dabei intern mit großem Input der Professor*innen, Studierenden und Mitarbeitern bewertet. Während meiner Zeit als Direktor der ESDI habe ich eine solche Selbstevaluierung durchgeführt, und ich förderte auch eine Evaluierung von außen, die drei Professor*innen mit dem Spezialgebiet höhere Bildung durchführten und die sehr fruchtbar war, nicht zuletzt weil wir unsere Eigenheiten erklären und sie Menschen außerhalb unserer Hochschule deutlich machen mussten, denn wir fanden uns exzentrisch, witzig und kreativ, waren aber zugleich nicht kommunikativ, wenn es um unsere vermeintlichen Qualitäten ging. Das führte vermutlich gelegentlich zu unberechtigter intellektueller Arroganz – obwohl Arroganz manchmal nötig ist –, was auch ein Erbe des Bauhauses und aus Ulm ist, keins, das leicht zu verstehen ist und einfach von der jetzigen Belegschaft und den Studierenden übernommen wird. Ich finde, dass die Hochschule heute viel mehr der Fachbereich Industriedesign der Universität ist als die Escola Superior de Desenho Industrial. Das ist der Gang der Dinge, obwohl ich als der gute Modernist, der ich bin, diese Art der Entwicklung nicht besonders schätze.

Zoy Anastassakis und Marcos Martins

Zoy Anastassakis (*1974) ist eine brasilianische Designerin und Anthropologin. Von 2016 bis 2018 war sie Direktorin der Escola Superior de Desenho Industrial der Universidade do Estado do Rio de Janeiro (ESDI/UERJ), wo sie als außerordentliche Professorin arbeitet. An der ESDI koordiniert sie das Laboratório de Design e Antropologia. Zusammen mit Marcos Martins schrieb sie ein Buch über die Experimente der ESDI von 2016 bis 2018, das in der Serie „Design in Dark Times“ bei Bloomsbury erschien.

Marcos Martins ist Designer und außerordentlicher Professor an der Escola Superior de Desenho Industrial (ESDI) in Rio de Janeiro, die er 2016 bis 2018 als stellvertretender Direktor leitete. Nach der Promotion untersuchte er an der Princeton University mithilfe einer historisch-kritischen Analyse das Interface-Design von sozialen Medien.