Räume des Aufbruchs: Von Lehrmuseen zu leeren Wänden
Im März 2020 wurde den Studierenden und mir das Gebäude der Designfakultät in Newcastle genommen. Tatsächlich verlor die ganze Welt ihre Gebäude. Büros, Geschäfte und Bildungseinrichtungen schlossen ihre Türen. Metaphorisch und real. Es war eine der größten Herausforderungen meines Lebens als Dozentin, meinen Unterricht ohne den festen Rahmen von geografischen und nicht greifbaren Begrenzungen abzuhalten. Meine Studierenden, Bachelorstudent*innen im Fach Innenarchitektur, müssen den Raum spüren, anfassen und fühlen können. Sie müssen das Potenzial seines Volumens verstehen und wie die Nutzer*innen sich in ihm bewegen und mit ihm interagieren werden. Ihre schulische Umgebung bietet ihnen täglich ein Beispiel dafür, während sie die semiotischen Informationen aufnehmen, die darin enthalten sind, und das Wissen verarbeiten, das innerhalb seiner Mauern weitergegeben wird. Egal was der Lehrplan vorgibt, die Schule nährt, unterstützt, bietet Trost und wird zu einem zweiten Zuhause. Und die Fähigkeit, all das zu sein, beruht stark auf der Atmosphäre, die in dem Raum geschaffen wird.
Und plötzlich sind mein Gebäude und seine ganz eigene Atmosphäre weg.
Wie ich bei meinem ersten Besuch des Bauhauses in Dessau erlebte, kann die Kraft eines Gebäudes einem einen Schlag in den Magen versetzen, während es einen in die Vergangenheit mitnimmt und zugleich fest in die Gegenwart, ja sogar die Zukunft zieht. Diese Erfahrung werde ich nicht vergessen. Walter Gropius, der Gründer und Architekt des Bauhauses, war sich der Wirkung seines Gebäudes sicher, sagte aber auch, dass eine erfolgreiche Lernerfahrung von mehr abhing als den einzelnen Elementen der Architektur und einem radikal neuen Curriculum. Es musste noch etwas hinzukommen. 1934, bei seiner Ankunft in England, wurde Gropius von einem Mitglied der Design and Industries Association (DIA) gebeten, den Stundenplan des Bauhauses sehen zu dürfen. Er stellte sich vor, dass das Birmingham College of Arts and Crafts ihn in seinen Stundenplan einfügen könnte. „Gropius war entsetzt: ,Er würde Ihnen nicht viel sagen’, antwortete er verächtlich. ,Es ging um die Atmosphäre.‘“[1]
Die Bedeutung dieser Beziehung zwischen dem Gebäude und der Atmosphäre für die Bildung war eine klare Vision für Gropius. Davon unabhängig gingen sein Lehrplan und seine Übungen um die Welt und wurden als Beispiel für einen progressiven, abstrakten, reformerischen Unterricht kopiert, angepasst, neu interpretiert und übersetzt. Ein Lehrplan, der an Schwung gewann und allmählich die pädagogischen Prinzipien überall auf der Welt in einer historischen Bewegung veränderte. In den 1950er-Jahren erreichte er Newcastle in England.
[1] Fiona MacCarthy: All Things Bright and Beautiful: Design in Britain: 1830 to Today. London: Allen and Unwin, 1972.
20 Jahre nachdem Gropius das Bauhaus verlassen hatte, manifestierte sich der pädagogische Einfluss des Bauhauses als radikale Abkehr von der traditionellen Lehre im Fachbereich Kunst des King’s College in Newcastle upon Tyne. Unter dem Direktor Lawrence Gowing und seinem Nachfolger Kenneth Rowntree entwarfen und unterrichteten Victor Pasmore und Richard Hamilton von 1954 bis 1966 den sogenannten Basic Course, der auch als Basic Form, als „Entwicklungsprozess“ und „Grundlagenkurs“ bekannt war. Pasmore, der als Meister der Malerei berufen worden war, war ein führender abstrakter Maler und konstruktivistischer Künstler, der sich eng an dem Kunstkurs orientierte, den Hamilton gab, ein Künstler und Designer, der ursprünglich aus der Designfakultät kam. Auf der Grundlage von Johannes Ittens Vorkurs, der in den 1920er-Jahren entstand, und inspiriert vor allem von den Prinzipien Paul Klees ergab sich nun eine grundlegende Neuorientierung weg von den modellbasierten Lehren, die bis dahin im Fachbereich üblich waren.
1958 erschien das Curriculum des Basic Course als statische Liste mit Übungen ohne jede qualitative Ausführung dazu, wie die Studierenden lernen sollten. Obwohl der Einfluss der revolutionären Lehrmethoden des Bauhauses offensichtlich war, war dies keine Kopie. Tatsächlich wurde in den Übungen eine heterogene Prinzipienmischung angeboten. Pasmore sagte, es sei „notwendig zu verstehen, dass es sich nicht um eine einzige, einheitliche Idee handelte. Vielmehr war die ganze Angelegenheit eine vollkommen empirische und experimentelle Prozedur, die es irgendwie schaffte, alles zusammenzubringen und zu gemeinsamen Ausstellungen mit den Arbeiten der Studierenden zu verbinden.“[2] Terry Marner (1955–1959), ein ehemaliger Student des Basic Course, stimmte zu: „Das Erste, was ich im Kurs ‚Basic Design‘ erlebte, war etwas, das in einem fließenden Zustand zu sein schien.“[3] Die Übungen, die für sich sinnvoll erschienen, waren, wie John Walker (1956–1961) sagte, „verwirrend und widersprüchlich“, wenn sie kombiniert wurden.[4]
Die Künstlerin und Historikerin Lesley Kerman (1960–1964) machte sich Gedanken darüber, was diese gegensätzlichen Interpretationen über das Bauhaus sagten. Als Studentin in den 1970er-Jahren erlebte sie zwei ältere ehemalige Studierende vom Bauhaus, die widersprüchlich über das Studium bei Oskar Schlemmer berichteten. Der eine, der offenbar seine Zeit bei Oskar Schlemmer genossen hatte, habe mit Tränen in den Augen von „Oskar“ gesprochen, dem „einzigen Lehrer, den wir beim Vornamen nannten“, während der andere berichtete, das Bauhaus sei voll von Knoblauch essenden Hippies mit dreckigen nackten Füßen gewesen. „Schlemmer war ein Monster, denn sie schufen das Triadische Ballett, und er nahm es mit nach Berlin und behauptete, es sei sein Werk.“ Lesley glaubte, dass es auch über den Basic Course derart unterschiedliche Erinnerungen gebe: „Manche Leute fanden, dass er ihre Kreativität hemme, andere machen die Übungen bis heute – für mich war das eine sehr aufregende Zeit, die mir ein wunderbares Leben in der Kunst geschenkt hat.“[5]
Bei ihrer Ankunft im Fachbereich wurde von den Studierenden ähnlich wie am Bauhaus erwartet, dass sie die rigideren Ansätze der Malerei, die sie an anderen Schulen gelernt hatten, wieder „verlernten“. Gropius sagte vom Vorkurs, dass es seine „erste Aufgabe war, die Individualität des Studierenden vom lähmenden Gewicht der Konventionen zu befreien und es ihm zu erlauben, die persönliche Erfahrung und das selbst erworbene Wissen zu erlangen, die das einzige Mittel sind, um die natürlichen Grenzen unserer kreativen Kräfte zu erkennen.“[6] Im Basic Course sollten sie das vorherige Wissen durch ein experimentelles, abstraktes Denken ersetzen, was Hamilton als „Auslöschung“ bezeichnete. „Ein Zweck des Basic-Design-Kurses war es, allen Studierenden einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu verschaffen, ein anderer war es, alle Vorstellungen über das Wesen der Kunst zu zerstören, die den Studierenden in der Grund- und Sekundarschule vermittelt worden waren.“[7] Derek Morris, von 1958 bis 1963 Student in Newcastle, erklärte, dass es „in mancherlei Hinsicht sehr unangenehm war – es hat uns auf den Kopf gestellt. Mich hat es für alle Zeiten verändert. Meine Vorstellungen von Kunst veränderten sich für immer.“[8] Unsicherheit, Missbehagen und Uneindeutigkeit in der Lehre und letztlich im kreativen Ergebnis schienen beabsichtigt zu sein. Der Fachbereich galt als einer der progressivsten und fortschrittlichsten im ganzen Land, obwohl das in dieser Bedeutung nicht immer gewürdigt wurde. John Walker wurde erst spät klar, dass „wir an einem kunsterzieherischen Experiment von nationaler Bedeutung teilnahmen“.[9]
Die eindeutige Beziehung zwischen den Arbeiten, die Studierende im Basic Course herstellten, und dem Bauhaus ist aus vielen Blickwinkeln gut dokumentiert, und der historische Hintergrund des Basic Design in Großbritannien wurde in der Ausstellung „Basic Design“ in der Tate Britain 2013 erforscht und präsentiert. Doch selbst diese umfassenden Informationen hatten mich nicht auf die vielen Gemälde und Zeichnungen vorbereitet, die ich bei kürzlichen Besuchen des Hatton Archives in Newcastle und noch mehr im National Arts Education Archive (NAEA) in Yorkshire zu sehen bekam, wo die zurückhaltenden, aber überaus kenntnisreichen Kustoden und Kuratoren Anna Bowman und Leonard Bartle seit vielen Jahren mit diesem immensen Portfolio von Kunstwerken, Briefen, Essays und Fotos arbeiten und deshalb für mich mit ihren Berichten und Anekdoten historische Zusammenhänge klären konnten. Da ich weder Künstlerin noch Kunsthistorikerin bin, fühlte ich mich nicht ausreichend qualifiziert, um diesen Essay allein auf der Grundlage der Kunstwerke zu verfassen. Die Fotosammlung, die an beiden Orten eingelagert ist, hat mich aber begeistert und eine Verbindung zur Bedeutung des Raums und der Atmosphäre für die Lehre hergestellt.
[2] Victor Pasmore. Brief an Richard Yeomans. National Arts Education Archive, 1983.
[3] Terry Marner. E-Mail-Korrespondenz mit Julie Trueman, 2021.
[4] Zitiert in: Gill Hedley. A Developing Process, 2013. Abgerufen am 22. August 2021 unter
[5] Lesley Kerman. E-Mail-Korrespondenz mit Julie Trueman, 2021.
[6] Walter Gropius. The new architecture and the Bauhaus, London: Faber, 1965.
[7] John A. Walker. Learning to paint: a British art student and art school 1956–61., London, Institute of Artology, 2003.
[8] Derek Morris. Telefongespräch mit Julie Trueman, 2021.
[9] Walker 2003.
Architektonisch, erzieherisch und spirituell waren die Ateliers im Fachbereich Kunst mit dem Basic Kurs verwoben, der für die eigentlichen Übungen eine grundlegende Rolle spielte. Hamilton gab eine Version der „Positiv-negativ-Aufgaben“ auf, die die Studierenden dazu einlud, den Raum und die negativen Formen um die Gegenstände in ihm zu zeichnen.[10] Lesley Kerman erinnerte sich an die Woche mit Übungen zur Linie, die für sie als ein „fabelhafter Verständnissprung herausstach, ein Paradigmenwechsel in meiner Wahrnehmung dessen, was möglich ist“, und der über die Parameter dessen, was der Körper tun konnte und wie der Raum selbst einbezogen werden konnte, hinausging: „Die Länge des Arms, der Schwung der Linie, der Rhythmus der Bewegung über die Papierrolle – warum sollte man damit wieder aufhören?“[11] Ähnlich beschrieb Pasmore die Ausweitung der Klee-Übung, bei der man nicht nur mit einer Linie spazieren ging, sondern auch mit ihr die Leinwand verließ. „Warum nicht über den Rahmen, durch den Raum, aus dem Fenster hinaus und in den Weltraum gehen?“[12] Der ehemalige Student John Kinnaird erkannte diese Bedeutung und beschrieb die Reaktionen auf diese Übungen bei Hamilton, die sich mehr mit der Umgebung und dem Raum selbst befassten. Sie waren „Statements, die auch Dinge einbezogen, die in dem Raum geschehen waren, und hatten mehr mit der Formgebung oder der Gruppierung von Punkten zu tun. Es musste nicht notwendigerweise ein Blatt Papier geben oder etwas, was man an die Wand hängen konnte. Es war ein Statement darüber, was tatsächlich in dem Raum passiert war.“[13]
Dennoch, die Fähigkeit und die Möglichkeit, sich körperlich mit der Architektur zu befassen, gehörte auch zum Basic Course. Fotos aus dem Atelier zeigen, dass die Wände vom Boden bis an die Decke mit Arbeiten bedeckt waren und die meisten Oberflächen inklusive Tischen und Fußböden auf die eine oder andere Weise genutzt wurden. In „außergewöhnlichen Stunden“, so Rita Donagh, ermutigte Pasmore die Studierenden, mit Kohle große Formen auf billiges Papier zu zeichnen, die dann aufgehängt wurden.[14] Und obwohl die visuelle Transparenz des Bauhausgebäudes am King’s College fehlte, ließen auch die festen, mit den Arbeiten bedeckten Wände keinen Platz, um sich zu verstecken. In einer kraftvollen Analogie erklärte Derk Morris, dass, wenn die Arbeiten für die „Kritik-Session“ am Freitagnachmittag aufgehängt wurden, sich das Atelier in ein „Lehrmuseum“ verwandelte.[15]
[10] Richard Hamilton. Basic Design, Interview. Northend Farm, 1982.
[11] Kerman 2021.
[12] Victor Pasmore. Interview. The Arts Club, 1984.
[13] John Kinnaird. Interview mit Peter Sinclair, 1974.
[14] Zitiert in Richard Yeomans. The Foundation Course of Victor Pasmore and Richard Hamilton 1954–1966. 245350920 https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10007507/1/282700_vol1.pdf
[15] Morris 2021.
Von allen Ateliers ist der Raum 2 der mit der größten historischen Bedeutung (er wurde bei einer kürzlichen Besichtigung der „berüchtigte Raum 2“ genannt). In ihm sind wahrscheinlich all diese Gebrauchsmerkmale enthalten. Das Foto in Abbildung 1 war der ursprüngliche Anlass für diesen Essay, in dem die Frage gestellt wird, was sich aus der Semiotik dieses Fotos entschlüsseln lässt. Pasmore ist in selbstbewusster Pose leicht an der Seite stehend zu sehen und erscheint etwas losgelöst von den Studierenden (vielleicht reflektiert das einen Aspekt seiner Persönlichkeit), wenn auch bereit teilzunehmen. Mitten unter den Studierenden, die sich in ihrer Umgebung wohlzufühlen scheinen, sitzt Derek Carruthers, der einen Metalleimer hält, auf dem „Raum 2“ steht. Auf Nachfrage erklärte Terry Marner, der auch auf dem Foto zu sehen ist, dass Derek das Bild höchstwahrscheinlich arrangiert hatte, weil er der „älteste“ Studierende war, der „den Eimer halten darf“. „Der Eimer war ein allgegenwärtiger Gebrauchsgegenstand in jedem Atelier. Da wir mit Ölfarben malten, waren immer eine bestimmte Menge Terpentin und eine perforierte Metallplatte darin. Vermutlich war der Eimer die einfachste Art zu zeigen, wer wir waren.“[16]
Die Studierenden, die sich für abstrakte Kunst interessierten, wurden von Pasmore ausgewählt, um im Raum 2 zu arbeiten,[17] was auch Derek Morris bezeugt, der sich daran erinnert, dass Pasmore ihm sagte: „Du musst keine Aktzeichnungen mehr machen, denn die Zukunft der Kunst ist abstrakt.“[18] Ron Dutton (1956–1960) beschrieb den Raum 2 darüber hinaus als „Heimat der Experimentalisten unter dem Einfluss von Pasmore, der kurz zuvor gekommen war“,[19] und Terry Marner fügte hinzu, dass im Raum 2 ständig diskutiert wurde und jeder Studierende auf ganz persönliche Art mit den Ideen rang, die Pasmore anbot, wenn er kam, um zu sehen, womit die Studierenden beschäftigt waren.[20] Wenn also alles darauf hinweist, dass die besondere Stimmung nicht dem Raum selbst geschuldet war, sondern dem, „was in ihm vor sich ging“,[21] zollte Lesley Kerman der Architektur dennoch gebührenden Respekt: „Ich glaube, dass die Mauern Zeugen dessen wurden, was wir lernten und wie wir uns in dem Kurs engagierten.“[22]
Aus den Beschreibungen der früheren Studierenden wird deutlich, dass die Arbeitsräume (Ateliers, Werkstätten, Bibliothek usw.) zur Atmosphäre beitrugen und zu dem Gefühl, Teil von etwas „Besonderem“ zu sein. Lesley beschrieb, wie die Studierenden im Basic Course gemeinsam an den Tischen in einem großen Atelier arbeiteten und die Arbeiten sofort an die Wand gehängt wurden. Das vermittelte das Gefühl, dass „die Arbeit, die wir taten, ein kollektives Projekt war, zu dem wir alle beitrugen“. Terry Marner bestätigte diese Vorstellung eines kollegialen Ansatzes, der für Synergien sorgte und dafür, dass man die Arbeiten derjenigen, die nah bei einem arbeiteten, kannte. Beide sahen in ihren Berichten eine Verbindung zum Bauhaus. Terry erinnerte sich an viele Diskussionen darüber, welchen Bezug die Themen, mit denen sie sich befassten, zur europäischen Tradition hatten und wie Pasmore das beschrieb.[23] Lesley berichtete, dass Hamilton eine stärkere, ausgeprägtere Verbindung erkannte: „Was wir taten, schien einzigartig zu sein – jeden Tag wurden Entdeckungen gemacht. Wir stimmten mit Sicherheit der Bauhausidee zu, dass es die Lebensqualität der gesamten Kultur verbessern würde, wenn wir gute Kunst und gutes Design herstellten. Wir teilten auch die Bauhausvorstellung von Kultur, zu der alles gehörte, was benutzt oder gedacht wurde – und das zu einer Zeit, als in England dieses Wort gewöhnlich etwas beschrieb, das sich auf einer höheren Ebene abspielte, als sie meisten Leute jemals erreichen konnten. Hamilton spielte eine wichtige Rolle dabei, uns das klarzumachen.“[24]
[16] Terry Marner. E-Mail-Korrespondenz mit Julie Trueman, 2021.
[17] Derek Carruthers. „Derek Carruthers (1935–2021)”, in: Modern British Pictures, 2020, abgerufen am 23. August 2021 unter https://www.modernbritishpictures.co.uk/artist/derek-carruthers/
[18] Morris 2021.
[19] Zitiert in Hedley 2013.
[20] Marner 2021a.
[21] Morris 2021.
[22] Lesley Kerman. The memory of an art school: a response to the conference at the University of Newcastle, Victor Pasmore, Richard Hamilton: Radical Innovation in Art, Architecture and Art Education in the North East, May 2013. Devon: Little Silver Publishing Ltd, 2013.
[23] Marner 2021.
[24] Kerman 2021.
Über die Architektur hinaus und in sie integriert hing der Erfolg des Basic Course auch von der dort geschaffenen Atmosphäre ab, die zum großen Teil von den gegensätzlichen Persönlichkeiten Pasmores und Hamiltons geprägt war. Pasmore wurde als „launisch, fast zusammenhanglos“ beschrieben, dabei aber „eloquent und inspirierend“[25] und mit einer starken Persönlichkeit, ein Mann, der „Anhänger um sich schart. Er ist eine Art messianische Figur.”[26] Hamilton dagegen wirkte gemäßigt, bedacht und „vermittelte den Eindruck großer Intelligenz – eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit“.[27] Als seriöse praktizierende Künstler mit jeweils eigenem Atelier brachten sie beide eine spürbare Ernsthaftigkeit in den Basic Course, von der Mary Webb (1958–1963) sagte, sie brächte „ordentlich Druck“ in die Veranstaltung.[28]
Zugleich übte Hamilton einen unkonventionelleren Einfluss aus, indem er die üblichen Gepflogenheiten bei Kleidung (er trug oft Levi’s Jeans und Hemden) und Musik (er war bekannt dafür, amerikanische Motown-Musik zu importieren) hinter sich ließ. Das förderte eine eher extravagante Stimmung im Fachbereich. Andrew Morley erinnerte sich lebhaft an sein erstes hoch dramatisch angelegtes Treffen mit Hamilton: „Wir waren in ihrem Bann. Diese Leute waren TRENDY. SO cool.“[29] Zu dieser Atmosphäre trugen auch die Besuche bereits etablierter Künstler und ihr gelegentlich exzentrisches Verhalten bei, was dem Fachbereich und seinen Studierenden das Gefühl vermittelte, sich „in der ersten Reihe der kreativen Aktivität“[30] zu befinden. Und wie am Bauhaus, wo insbesondere Schlemmer erkannt hatte, dass „Spiel“ in Gestalt von Freizeitaktivitäten wie Mottopartys, Poesie und Musik ein entscheidendes Element für die Kreativität war, wurde das auch zu einem bestimmenden Teil des Studierendenlebens in Newcastle. Partys, vor allem die, zu denen Hamilton einlud, oder Trips in der Mittagszeit zum Tanzen in den Majestic Ballroom waren feste Bestandteile des Fachbereichslebens. Ein Film, den der Student Michael Dawson 1958 drehte, gewährt einen einzigartigen Blick darauf, wie das alles zu einer guten Atmosphäre im Basic Course beitrug.[31] Beim Tanzen auf dem Dach machen Studierende und Lehrende (Pasmore ist deutlich zu sehen) einen sehr entspannten, aber dynamischen Eindruck. Die gestellten Szenen im Zeichenraum zeigen, dass Arbeit und Spiel einen wichtigen Anteil an der Gesamterfahrung hatten. Da es zu jener Zeit nichts Vergleichbares gab, war es „ein bisschen wie in einer Blase“, erinnerte sich Stephen Buckley (1962–1967).[32]
Es ist nicht klar, ob Hamilton und Pasmore sich auf das Bauhausmodell bezogen, als sie ihre kreative Lernumgebung entwickelten, weil es als modern und anders galt, oder ob sie damals einfach glaubten (bewusst oder unbewusst), dass es wichtig war, ihre Lehre und die Erfahrung der Studierenden zu verbessern. Welche Prinzipien der Bauhauspädagogik auch immer nach Newcastle gelangt sind, Gropius’ Vorstellung von der Atmosphäre schien bei den Studierenden fest verankert zu sein. Sie waren sich der Atmosphäre bewusst und übertrugen sie später auch in ihre eigene Lehrpraxis. Lesley Kerman beschrieb das als „ein ,Klima‘ herstellen“, und sie fügte hinzu: „Das gab es in Newcastle mit Sicherheit.“[33]
[25] Kerman 2013.
[26] William Coldstream. Interview mit Peter Sinclair, 1974.
[27] Morris 2021.
[28] Mary Webb. Telefongespräch mit Julie Trueman, 2021.
[29] Zitiert in Hedley 2013.
[30] Yeomans 1987.
[31] Michael Dawson. Studentenfilm, 1958, https://www.youtube.com/watch?v=b8EPZcYUkb0
[32] Stephen Buckley. Telefongespräch mit Julie Trueman, 2021.
[33] Kerman 2021.
Führt man sich das Leben in den Ateliers vor Augen und wendet sich dann wieder jüngeren Ereignissen zu, so kommt die Frage auf, wie eine Atmosphäre geschaffen oder erlebt werden kann, wenn es kein Gebäude mehr gibt, in dem man sie herstellen könnte. Wie können wir Innenarchitektur unterrichten, wenn der Innenraum nur in den persönlichen Grenzen eines Bildschirms besteht? Onlinevorträge während der Pandemie haben diese Frage in den Vordergrund gerückt. Der Kreis schloss sich beim Bauhaus, und ich begann eine einzigartige Zusammenarbeit mit der Research Academy, um das Studierendenengagement während der Onlineveranstaltung des Vorkurs-Moduls der Akademie zu bewerten. Das Ziel war es, „mehr Erwartung als Ambivalenz“ zu erzeugen und zu hinterfragen, ob das Erbe und die Glaubwürdigkeit einer ikonischen Institution effektiv und mit demselben Erfolg übertragen werden konnten, ohne sich wirklich im Bauhausgebäude in Dessau zu befinden, indem man online eine gleichwertige Atmosphäre schuf. Das erforderte neue Wege der Präsentation, neue Arten, die Neugierde der Studierenden zu wecken, und neue Bewertungsformen. Es war von entscheidender Bedeutung, die Erwartungen der Studierenden und ihre Wahrnehmungen zu verstehen. Die wertvollsten Daten wurden mithilfe sensorischer, ethnografischer Methoden unter dem Einsatz von videostimulierten Recalls gesammelt, wobei Aufnahmen von den Onlineworkshops zu Erinnerungen an das Verhalten und die Gefühle der Studierenden und deren Interpretation führten. Diese wechselseitigen Diskussionen waren genau wie die Gespräche mit den ehemaligen Studierenden des King’s College, auf die ich mich hier bezogen habe, echter und zugänglicher als die statischen Fragebögen, die nur in einer Richtung funktionieren. So konnten wir schnell antworten und reagieren, Workshops einschieben und den Übermittlungsstil der Module verbessern. Dabei flossen Elemente unserer eigenen Persönlichkeiten ein und wir konnten mit Anstößen und Hilfen die Motivation und das Engagement steigern. Trotz der erzielten Erfolge wurde das Gefühl der Isolation und Trennung, das der Lockdown erzeugte, von der Abwesenheit des Gebäudes in Dessau und seinem digitalen Ersatz noch verstärkt. Das führte schließlich zu einem nostalgischen Verlustgefühl.
Nach dem Lockdown, bei einem Besuch des Kunstfachbereichs in Newcastle im September 2021, wurde ich Zeugin der Wirkung, die das Gebäude des King’s College hat. Obwohl Sommerferien waren und in den Ateliers keine Studierenden oder Arbeiten waren, war es einfach, sich die Lebendigkeit früherer Zeiten vorzustellen, als die vom Bauhaus inspirierten Übungen die Wände vom Boden bis zur Decke bedeckten. Das Foto, das Matt Rugg einfing, als er auf das Waschbecken kletterte, um Gemälde und Zeichnungen noch weiter oben an die Wand zu hängen, war in die Gegenwart übergegangen, und ich stand in Raum 2 und sah auf die nackten Wände. Aber das ist eben der Kreislauf der Bildung, in dem unsere Umgebungen zwischen „Lehrmuseen“ und leeren Wänden hin und her wechseln. Das heißt nicht, dass die Geschichte verblasst, sondern dass die eingefangenen historischen Bilder gemeinsam mit den mündlichen Erzählungen der Studierenden, die dieses Gebäude erlebt und die Atmosphäre in ihm geschaffen haben, uns daran erinnern, dass mehr Tiefe und mehr Erklärungen in ihnen stecken, als man auf den ersten Blick erkennen kann.
Senior Lecturer für Innenarchitektur an der Northumbria University. Nach einem Abschluss in Medizin (1993) und Innenarchitektur (2006) konzentrieren sich ihre Forschungen zurzeit auf die Pädagogik und Proxemik des Lernens. Sie hat Workshops im Rahmen des Open-Studio-Programms am Bauhaus in Dessau geleitet, was in der Folge zu einer Zusammenarbeit mit der Akademie der Sitftung Bauhaus Dessau geführt hat.