Hajo Rose und die Nieuwe Kunstschool Amsterdam
Nach seinem Studium von 1930 bis 1933 am Bauhaus in Dessau und Berlin ging Hajo Rose (1910–1989) im April 1934 nach Amsterdam, um mit dem belgischen Fotografen Paul Guermonprez das gemeinsame Werbebüro co-op 2 zu gründen. Aus der Quellenlage lässt sich nicht rekonstruieren, ob er an eine Emigration dachte oder „im Nachbarland zunächst nur die weitere Entwicklung in Deutschland abwarten wollte“.[1] Mit seiner politischen und künstlerischen Anschauung und da er vom Bauhaus kam, hätte er in Deutschland – ohne Anpassung – keine Chance gehabt. Das Werbebüro scheiterte trotz Idealismus und hoher Kraftanstrengung nach wenigen Monaten. Als Ausländer war es für Rose besonders schwierig, ein Auskommen zu finden, zumal auch die Niederlande von der Weltwirtschaftskrise betroffen waren. Hilfe kam von dem ehemaligen Bauhäusler und Künstler Paul Citroen. Rose erhielt eine Stelle als Dozent für Werbegrafik, Typografie und Fotografie an der von Paul Citroen geleiteten privaten Nieuwe Kunstschool in Amsterdam. Mit gerade 24 Jahren vermittelte Rose in den kommenden fünf Jahren (1934–1939) die Ideen und Methoden des Bauhauses in Fächern wie Reklame, Farblehre oder Schriftzeichnen. Er bot einen Vorkurs an, aber keinen für Fotografie. Rose stützte sich auf eigene Erfahrungen, die er am Bauhaus gemacht hatte.
[1] Ulrike Staroste (Hg.). Hajo Rose. Bauhaus Foto Typo. Berlin: Bauhaus-Archiv Berlin, Museum für Gestaltung, 2010, S. 25.
Blicken wir deshalb zurück auf seine Ausbildung. Am Bauhaus absolvierte Hajo Rose zunächst im Sommersemester 1930 den Vorkurs bei Josef Albers und besuchte den Unterricht bei Wassily Kandinsky, Paul Klee und Joost Schmidt. Nach der Grundlehre im ersten Semester studierte Rose für zwei Jahre, also bis Mitte 1932, in der Werkstatt für Reklame, Typografie und Druckerei bei Joost Schmidt. Gleichzeitig belegte er Fotokurse bei Walter Peterhans.
Zwei Bereiche bildeten den Schwerpunkt von Schmidts Lehrtätigkeit am Bauhaus Dessau: zum einen die Untersuchung der Beziehung von Körper und Raum sowie zum anderen die Beschäftigung mit Reklame, Typografie, Schrift. In Schmidts Kursen erhielten die Studierenden eine solide Einführung, die der Generallinie der Bauhauspädagogik entsprach. Eine typische Aufgabe aus seinem Unterricht, deren Schwierigkeitsgrad sich nach und nach steigerte, sind Gestaltungsübungen mit einem genormten Schema aus drei mal drei Quadraten, in denen die Studierenden jeweils neun Varianten einer gestellten Aufgabe unterzubringen hatten. Auch von Hajo Rose sind solche Übungsaufgaben bekannt. „Dahinter stand die Absicht, kreatives Denken, Denken in Alternativen, zu trainieren und zudem den Studenten bewusst zu machen, dass es für ein gestalterisches Problem mehr als eine Lösung geben kann.“[2] Eine der Kontrastübungen von Hajo Rose zeigt das Kreuzzeichen unter Verwendung von Collagen, einer perspektivischen Darstellung, Schrift etc. und damit formale und thematische Kontraste. (Abb.)
[2] Rainer K. Wick. Bauhaus-Pädagogik. Köln: DuMont, 1994, S. 308.
Auch nach dem Umzug des Bauhauses nach Berlin studierte er dort weiter. Am 1. April 1933 wurde Hajo Rose das Bauhausdiplom Nr. 112 der Reklamewerkstatt verliehen. Rose ist somit ein gutes Beispiel für die Breite und Ausstrahlung der Lehre am Bauhaus als Voraussetzung für die Ausprägung einer eigenständigen und tragfähigen künstlerisch-ästhetischen Gestaltungssprache, die im Bereich der Typografie und Fotografie zwischen Neuem Sehen, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit changiert.
Offensichtlich waren die Ausbildung am Bauhaus und eine gewisse Begabung als Lehrer eine gute Grundlage für die Dozententätigkeit in Amsterdam. Genauso wie sein Lehrer Joost Schmidt war Hajo Rose bei seinen Schüler*innen beliebt. Rose unterrichtete Werbung (inkl. Typografie, Fotomontage, Plakat, Reklame, Prospekte), Farbtheorie und Zeichnen. Laut Jan Bons, einem seiner Schüler, soll Rose als einziger Dozent ein Lehrbuch für den Unterricht benutzt haben, nämlich Jan Tschicholds Werk Typographische Gestaltung von 1935, das 1938 in einer niederländischen Übersetzung bei Duwaer erschien.[3] Wie Korrespondenzen bezeugen, schätzte Rose Tschichold, der die avantgardistischen Ideen innerhalb der Typografie allgemein gebrauchsfähig machte und bezeichnenderweise nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in die Schweiz flüchtete, eine Tätigkeit als Lehrer an der Gewerbeschule Basel aufnahm und diese bis 1941 ausübte.
[3] Vgl. Kurt Löb. Paul Citroen en het Bauhaus. Utrecht, Antwerpen: Bruna, 1974, S. 70.
Für die Nieuwe Kunstschool entwarf Hajo Rose alle anfallenden Drucksachen wie Prospekte, Briefpapier, Einladungen zu Festen etc. Ein interessantes Blatt ist der Entwurf Beispiel für eine Lektion, Vorstudien für ein Plakat für die Nieuwe Kunstschool, der in seinem Aufbau und der Verwendung unterschiedlicher Kontraste sehr an die Übungen aus dem Unterricht von Joost Schmidt erinnert. (Abb.) Dieses Schema aus drei mal drei Quadraten wendete Rose ebenfalls in seinem Unterricht an, wie ein Beispiel für eine Lektion techniecken en stijlen (Techniken und Stile) belegt.
Parallel zur Dozententätigkeit führte Hajo Rose bis 1941 ein eigenes Werbebüro und betätigte sich freischaffend als Fotograf, Ausstellungsgestalter und Bühnenbildner. Seine Vielseitigkeit und mannigfaltige Begabung äußerten sich auch in der Tätigkeit für den Drucker und Verleger Frans Duwaer, für den er Kalender und Rechnungsformulare entwarf. Rose kannte ihn aus der Zusammenarbeit mit der Nieuwe Kunstschool, denn Duwaer erstellte alle Drucksachen für die Schule. Aufträge erhielt Rose sowohl von etablierten Firmen und Institutionen, wie zum Beispiel dem medizinisch-therapeutischen Institut Inrichting Fransman wie auch von Flüchtlingen wie der ungarischen Fotografin Eva Besnyö, die ebenfalls an der Nieuwe Kunstschool unterrichtete. Kontakte bestanden ebenso zu anderen Bauhäuslern in Amsterdam wie zu den Niederländern Mart Stam und Johan Niegeman. Stam übernahm 1939 das Amt des Direktors an der Amsterdamer Kunstgewebeschule Instituut voor Kunstnijverheidsonderwijs (IvKNO), und Niegeman leitete die Abteilung für Innenarchitektur an dieser Schule.
1937 war Rose als Vertreter der Niederlande auf der Weltausstellung in Paris und erhielt eine Goldmedaille für das Plakat Amsterdam. (Abb.) 1939 gestaltete er die Ausstellung Der Zug für die Niederländischen Staatsbahnen, 1941 den Messestand für mehrere Nahrungsmittelfabrikanten auf der Utrechter Frühjahrsmesse. Für den Ufa-Film Rembrandt arbeitete er 1941 als Filmarchitekt.
Im Jahr 1942 wurde Rose als Emigrant in den Niederlanden zwangsrekrutiert und für den Kriegsdienst eingezogen. Nach Kriegsende befand er sich zunächst in amerikanischer, dann in französischer Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 nach Deutschland zurückkehrte. Nach vielen Überlegungen ging Hajo Rose schließlich nach Dresden, wohin ihn der frühere Gastdozent am Bauhaus und Architekt Mart Stam eingeladen hatte. Stam arbeitete in Dresden daran, den Bauhausgedanken wiederzubeleben, und mit der Designerin Marianne Brandt bildete sich eine kleine Bauhauszelle. Rose gelang der berufliche Wiedereinstieg in der DDR: Zwischen 1949 und 1953 lehrte er als Dozent für Gebrauchsgrafik und Schrift an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Nach Auflösung seiner Dresdner Abteilung 1953 wechselte er an die Fachschule für angewandte Kunst Leipzig und unterrichtete dort in den folgenden fünf Jahren. Da die Schulleitung wiederholt seine vom Bauhaus geprägten Lehrmethoden kritisierte, trat er schließlich aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) aus und lieferte damit den Anlass für seine Entlassung. Dadurch blieben ihm weitere Lehrtätigkeiten in der DDR verwehrt. In den Folgejahren war Rose freiberuflich tätig. Vor allem ab den 1970er-Jahren wurden seine Werke in zahlreichen Ausstellungen präsentiert. Am 10. September 1989 starb Hajo Rose in Leipzig.
(Dr. phil.) ist seit Oktober 2011 im Depot/Archiv der Stiftung Bauhaus Dessau tätig. Davor arbeitete sie als Kunsthistorikerin unter anderem im Bildarchiv Foto Marburg, in der Deutschen Fotothek Dresden, im Kunstfonds des Freistaats Sachsen sowie bei startext Unternehmensberatung Bonn mit den Schwerpunkten Aufarbeitung von Kunstgutbeständen, Mitarbeit an Projekten sowie Weiterentwicklung und kundenspezifische Anpassung von Datenbanksystemen für Museen und Archive. Entsprechend ihrer Dissertation im Fach Kunstgeschichte zum Thema Der Bildband „Dresden – eine Kamera klagt an“ von Richard Peter senior. Teil der Erinnerungskultur Dresdens liegen ihre Interessen in der Fotogeschichte und Kunst der DDR.