Issue number: 1
02 December 2022
Lesezeit: 5′
Changkyu Lee
Auf Einladung von Omnikolektif teilt Changkyu Lee seine Gedanken zu ihrer Kurzgeschichte mit und geht auf ihre Praxis ein.

Die euro-amerikanisch geprägte Ästhetik, ein singuläres System der politischen Ökonomie oder ein transnationales Werteregime, ist für die Beschäftigung mit komplexen und dynamischen Bedingungen, die eine Veränderung der globalen Beziehungen bewirken sollen, nicht passend. Mit dem Aufkommen neuer Kunstwelten wie in Singapur oder den Golfstaaten müssen wir eine neue Karte der zeitgenössischen Kunstwelten zeichnen, die die dualistische Taxonomie und die Empfindungen der europäisch-amerikanischen Ästhetik und die der „Dritten Welt“ überwindet. Wie können wir also die Verbreitung von Künstler*innen und Kunstwerken in einer vernetzten Gegenseitigkeit jenseits der binären Pole West/Ost und Text/Bild verstehen? Wie positionieren wir uns in dieser globalen Verbreitung und Mobilität? Haben sie das Potenzial, neue Arten offener, kollaborativer institutioneller und sozialer Strukturen entstehen zu lassen?

Bei der Forschungsarbeit, die ich 2015 für meine Doktorarbeit unternahm, begann ich meine Zusammenarbeit mit Omnis Projekt vor allem, um anthropologische Fragen zu „beantworten“ und, noch wichtiger, um mit meiner Forschung zu einem globalen Publikum zu „sprechen“ – vor allem zu Fachleuten aus der Kunstszene –, indem ich die Mühen und das Versagen der „Dritten Welt“ in der Kunstwelt thematisierte. Statt die Bedeutung und Repräsentation zeitgenössischer indonesischer Kunst als passives Ergebnis des menschlichen Wunschs, sich auszudrücken, zu hinterfragen, habe ich mich auf die Materialität der Kunstwerke von Omni konzentriert. Auf diese Weise versuche ich, die Schwierigkeiten zu untersuchen, die das Verhalten der Künstler*innen aus der „Dritten Welt“ prägen, das einer großen Bandbreite von nichtrationalen Einschränkungen unterliegt. Ich begleite Omni und habe dabei gelernt, die Grenzen aufzuweichen, statt mich in die globale Hierarchie einzugliedern, indem ich beweise: Ich kann ein guter Verlierer sein.

Wie können wir dann die Zirkulation von Künstlern und Kunstwerken in vernetzter Gegenseitigkeit jenseits des binären Pols von West/Ost und Text/Bild verstehen? Wie positionieren wir uns oder nehmen wir an dieser globalen Zirkulation und Mobilität teil?

Ihre kurze Geschichte klingt wie die egoistische Selbstreflexion oder das geheime Tagebuch eines Künstlers oder einer Künstlerin an der Peripherie. Aber aus ethnografischer Sicht hat Omnis Projekt unser Verständnis davon bereichert, wie Akteur*innen in der indonesischen Kunstwelt die Besonderheit von Kunstwerken in das lokale Wissen übertragen, indem sie die ästhetische Terminologie und Grammatik der globalen Kunstwelt anwenden. Ihre Projekte befassen sich auch mit Aneignungen oder Problemen, die sich aus diesem Prozess ergeben. Indem sie Künstler*innen und Kunstwerken auf ihren globalen Reisen – documenta, Masa Subur, Getok tular – folgen, betrachten Omnis Projekte die vernetzte Gegenseitigkeit, Brechungen und die Logik dieser Standortwechsel sowie Neuschöpfungen der Kunstwerke in der weltweiten Zirkulation aus einer neuen Perspektive.

Ästhetische Sensibilitäten schaffen eine neue Art der Wahrnehmung und politischer Subjektivität.[1] Omnis künstlerische Experimente lenken auch immer noch einen Mechanismus, der den Wert von Kunst, die Empfindung und die Ästhetik der „Dritten Welt“ in das Austauschbare übersetzt. Sie wollen wissen, wie diese materielle/immaterielle Mediation Ausstellungs-, Management- und Performancepraktiken in der Kunst beeinflusst oder wie dadurch ästhetische Dispositionen hergestellt werden. Omnis Projekte laden auch dazu ein, den Geschenkaustausch als festgelegten lokalen Ort, an dem menschliche Beziehungen geformt und die Bedeutung von Person, Wert und Austausch permanent ausgedehnt und gespeichert werden, erneut anthropologisch zu erforschen.[2] Als solches kann das ethnografische Wissen, das bei Omnis Projekt von der „Gemeinschaft“ und dem „Publikum“ produziert wird, auch etwas über ein relativ unerforschtes Gebiet der Kunstgeschichte aussagen, denn es befasst sich kritisch mit Interpretationen nichtwestlicher Umgestaltungen des Globalen. Der kletternde Efeu wird leuchten und überleben und nicht den Absichten und der Logik der Menschen folgen, sondern an der Schnittstelle von Hybridität, Hierarchie und Möglichkeit schweben. Ing Madyo Mangun Karso! Omnis Kletterwurzeln werden über den Dualismus hinausgehen und einen nachhaltigen und passenden Ort finden, an dem man anderen zuhört, statt die Gemeinschaft zu belehren.

Changkyu Lee
arbeitet zurzeit an der State University of New York (SUNY) in Binghamton an seiner Dissertation in Anthropologie. Seinen Masterabschluss machte er an der Staatlichen Universität in Seoul. Der Titel seiner Masterarbeit lautete Wayang Kulit Gaya Yogyakarta: Meaning and Transformation in Contemporary Indonesia (2009). Seine Forschungsgebiete sind die Anthropologie der Kunst, Sachkultur, islamische Spiritualität und die Hierarchie von künstlerischem Wert und Ästhetik in der globalen Kunstwelt. Zurzeit ist er Mitglied der Arbeitsgruppe MVW (Material and Visual Worlds) an der SUNY Binghamton.