Issue number: 1
30 November 2022
Lesezeit: 9′
Salikhain Kolektib
Das Wort Salikhain leitet sich von den philippinischen Wörtern sali, (teilnehmen), saliksik (erforschen), likha (erschaffen) und malikhain (kreativ) her. In ihm manifestiert sich die Überzeugung des Kollektivs, dass Kunst eine Art Forschung und dass Forschung ihrerseits ein kreativer Prozess ist.

Wir sind ein Kollektiv aus Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Sozialarbeiter*innen und Lehrer*innen. Der Name Salikhain steht auch dafür, dass wir unsere unterschiedlichen Praktiken lokalisieren und dekolonisieren wollen. Wir wünschen uns Zugang zu antidisziplinärem, sozialem, relationalem und sogar spirituellem Wissen. Diese Qualitäten prägen unsere Arbeitsprinzipien: ein Bekenntnis zur Transdisziplinarität, zum Einsatz partizipatorischer Methoden und zur Nutzung des Potenzials, das Kunst bietet, um das soziale Kapital zu heben, zu kommunizieren und für die Interessen lokaler Gemeinschaften einzutreten.

Im Folgenden stellen wir einige unserer Aktivitäten und Projekte vor und zeigen, wie wir dabei unsere Prinzipien umsetzen.

SALI: TEILHABE

DEZENTRALISIERUNG UND NEUORGANISATION DER WISSENSHIERARCHIEN1

 

Partizipatorisches Kartieren

Das gemeinsame Erstellen von 3-D-Karten, das Participatory Three-Dimensional Modeling (P3DM), wurde 1980 von Wissenschaftler*innen, Geograf*innen und Sozialarbeiter*innen entwickelt. Dabei können Gemeinden mitarbeiten. 2007 wurde diese Methode zur Verringerung von Katastrophenrisiken und für die Managementplanung für Katastrophenfälle (DRRM) von der Philippinischen Geografischen Gesellschaft verwendet.

Gemeindebezogener Ansatz: Die gemeinschaftliche Erstellung von genauen 3-D-Modellen eines bestimmten Ortes wird von Kartierungsfachleuten begleitet. Die Methode beruht auf einem gemeindebezogenen Ansatz, bei dem die Teilnehmenden an Entscheidungen über verschiedene Aspekte der Kartenerstellung und das Ergebnis beteiligt werden. Durch die Arbeit an der 3-D-Karte kann sich das räumliche Bewusstsein verbessern.

Ein Ligtas-PAD-Teilnehmer aus dem Dorf Paltic zeigt Besucher*innen der Abschlussveranstaltung für das Projekt auf der 3-D-Karte, wo er wohnt (2018).
Jenjen Nolledo, der ehemalige Stammesführer Jornie Nolledo und Jenilyn Magdaong (v. l.) aus der Gruppe der indigenen Dumagat bei einer Pause während eines Kartenprojekts; diese Karte wird gerade gebaut und zeigt das Dorf Matawe, das zwischen dem Bergzug der Sierra Madre und dem Pazifik liegt. Die Karte bildet die Umgebung des Gemeindezentrums ab. Bei der gemeinsamen Kartenerstellung bringen die Dorfbewohner*innen ihre Kenntnisse über den Ort in die Karte ein, was ebenso wichtig ist wie die Daten, die die Satelliten aus der Erdumlaufbahn senden (2017).
Die Frauen auf diesem Foto arbeiten als Gesundheitsberaterinnen in ihren Dörfern. Sie sind dort für die Gesundheit und Sicherheit von entscheidender Bedeutung. Sie kümmern sich auch um andere Gemeindeprogramme wie die Einwohnererhebung, Impfungen und die Verteilung von Hilfen. Diese Frauen verfügen nicht nur über wichtige Informationen über ihre Viertel, sie sind auch diejenigen, die die Geschichten kennen, die es uns ermöglichen, einen Ort und seine Menschen über die Daten auf einem Blatt Papier hinaus zu verstehen.

Neue Materialien erforschen: von Styropor bis Holz Typische 3-D-Karten werden allerdings aus Styropor, Schaumgummi oder Pappe hergestellt. Der Künstler und Schreiner Ralph Lumbres (Salikhain Kolektib) entwickelte eine Methode für den partizipatorischen 3-D-Modellbau, bei der Sperrholz und Sägemehl zum Einsatz kommen. Die so entstehenden Karten sind stabiler, umweltfreundlich und haben einen höheren ästhetischen Wert. Die Karten, die so in Dingalan, Aurora (Philippinen), Sulu-an Island, Guiuan (Philippinen) und Hadiwarno, Pacitan (Indonesien), unter der Anleitung von Ralph Lumbres entstanden, sind die einzigen dokumentierten P3DM-Karten aus Holz.

Grundkarte für verschiedene Daten der Gemeinde: Die stabileren 3-D-Karten aus Holz können für unterschiedliche Zwecke genutzt werden, etwa die Zusammenstellung verschiedener Gefahrendaten oder die Markierung von Orten, die für die Umwelt bedeutend sind. Mit einer hölzernen 3-D-Karte erschafft sich die Gemeinde eine wertvolle Ressource, eine Arbeitsgrundlage, die ständig genutzt werden kann und die oft über die Daten hinausgeht, die anfänglich für die Erstellung der Karte gesammelt wurden.

 

SALILSIK: FORSCHUNG
LOKALES WISSEN NUTZEN, UM FÜR EINEN POLITIKWANDEL EINZUTRETEN2

 

 

Inklusive Forschung mithilfe von Fotografie

Photovoice ist eine partizipatorische Forschungsmethode, die Menschen in einer Gemeinde Kameras gibt, mit denen sie ihre Beobachtungen, Wahrnehmungen und sogar Gefühle festhalten und dokumentieren können. Die Methode wurde zunächst 1994 von Caroline Wang und Mary Ann Burris unter dem Namen „photo novella” (Fotoroman) entwickelt, um Gesundheitsthemen zu studieren. Bei dieser Methode dienen die Fotos als Ausgangspunkt für Gespräche. Daraus entsteht ein Forum für Gemeinden, mit dessen Hilfe sich Politiker*innen erreichen lassen und für einen Wandel geworben werden kann.

Fotografie im Einsatz für ein integrales Risikomanagement: Auf den Philippinen hat der Umweltwissenschaftler Juan Miguel Torres (Salikhain Kolektib) Photovoice als Forschungsmethode für die Verringerung von Katastrophenrisiken und für die Managementplanung für Katastrophenfälle (DRRM) verwendet. Torres’ Workshops ermächtigen die Mitglieder der Gemeinschaft, die tiefgehenden Informationen über die Kapazitäten und Schwächen ihres Dorfs zu sammeln, zu verarbeiten und zu analysieren. Der Ansatz inspiriert zu einer sinnvollen Beschäftigung mit den Stärken und Schwächen der Gemeinde, und die gesammelten Daten werden dann auch als ergänzende Dokumentation für die DRRM-Planung genutzt.

Ein Gruppenfoto der Salikhain-Mitglieder mit Photovoice-Teilnehmer*innen aus dem Dorf Bitaugan, Homonhon Island.
Sulu-an Island: Hier werden die Fotos nach Stärken und Schwächen im Zusammenhang mit Katastrophen in der Gemeinde sortiert – der eigentliche Anlass für diese Photovoice-Aktivität (2018).
Teilnehmer*innen aus Pasig City, darunter Mitarbeiter*innen von Lokalverwaltung und NGOs sowie Bürger*innen, die die sortierten Fotos analysieren.

Die Aufmerksamkeit wird auf kleine Inselgemeinden gelenkt: Mehr als 7600 Inseln bilden den Archipel der Philippinen. Die meisten von ihnen werden als kleine Inseln kategorisiert. Aufgrund ihrer abgeschiedenen Lage und ihrer geografischen Trennung von den politischen und wirtschaftlichen Zentren sind diese kleinen Inselgemeinden in der Regel den größten Risiken durch die eskalierenden Klimagefahren ausgesetzt. Ein Ergebnis der Photovoice-Workshops in Sulu-an und Homonhon Island in Guiuan, Samar, ist die erfolgreiche Dokumentation des speziellen Wissens und der Good Practices dieser kleinen Inselgemeinden, in denen sich die Menschen schon immer auf besondere lokale Fertigkeiten, Wissen über ihre Umwelt und Mechanismen verlassen mussten, um zu überleben und sich den schwierigen klimatischen Verhältnissen anzupassen. Vorgehensweisen von diesen kleinen Inseln können als Vorbilder für Schulungen zur Risikominimierung im Katastrophenfall dienen, vor allem im Hinblick auf den Umgang mit der Natur auch in größeren Gemeinden.

Inklusive Planung für Menschen mit Behinderungen: Photovoice kam auch in dem Projekt Lahat Dapat: Toolkit for Inclusive DRRM Planning (Toolkit für inklusive DRRM-Planung) zum Einsatz. Das Projekt befasst sich mit der überproportional hohen Zahl von Menschen mit Behinderungen, die im Katastrophenfall verletzt oder getötet werden. Zu dem Toolkit gehören innovative und kreative Wege, um Menschen mit Behinderungen in die DRRM-Planung einzubeziehen und damit sicherzustellen, dass der Katastrophenschutz der Regierung sich auch an ihren Erfordernissen ausrichtet.

 

LIKHA: KREATION/MALIKHAIN: KREATIV
KUNST ALS TEIL DES TÄGLICHEN LEBENS UND ALS AUSDRUCK UND ARTIKULIERUNG LOKALER KONTEXTE ZURÜCKEROBERN3

Skulpturen der lokalen Biodiversität

Beim partizipatorischen Kartierungsprojekt macht Salikhain die Teilnehmer*innen durch erfahrungsbasiertes Lernen mit 3-D-Modellierungsverfahren bekannt. Bevor sie mit der Arbeit an der 3-D-Karte beginnen, erlernen die Teilnehmer*innen zunächst grundlegende Techniken der Bildhauerei und der Holzverarbeitung, indem sie Reliefskulpturen anfertigen.

Es handelt sich dabei nicht nur um einen pädagogischen Ansatz, mit dem 3-D-Modellierung unterrichtet wird, sondern die Teilnehmenden schaffen auch Kunstobjekte, die sie behalten und mit nach Hause nehmen können. In Sulu-an wurden ihre Skulpturen auch zu einem Mittel, um ihre lokale Kultur, Biodiversität und die Tierwelt darzustellen. Der Workshop ermöglicht es den Frauen darüber hinaus, das Schreinern und den Umgang mit elektrisch betriebenen Werkzeugen zu erlernen. Einige der Frauen stellten noch weitere Skulpturen her, mit denen der Dorfkindergarten dekoriert wurde.

Diese einzigartigen und detaillierten Kunstwerke sind Ausdruck des umfassenden Wissens der Teilnehmer*innen, die die Lebensformen, die sie umgeben, genau kennen. Ihr Wissen ist ein tief verwurzelter Aspekt der epistemologischen Gewalt der Kolonisierung, durch die wir oft etwas über Dinge erfahren, die es woanders gibt (nach denen wir uns dann sehnen), bevor wir etwas über das lernen, was uns viel näher ist. Zum Beispiel lernen wir in der Schule, dass „A“ der Anfangsbuchstabe von „Apfel“ ist, obwohl in unserem tropischen Klima gar keine Äpfel wachsen. Unsere Häuser und Wohnungen sind mit Bildern von Kolibris und Wildenten dekoriert, die es hier nie gegeben hat. Diese Reliefskulpturen transportieren Geschichten, die von der Kultur und dem Alltag unserer Insel berichten, kleine Objekte, die sich den Jahrhunderten der Auslöschung entgegenstellen.

Annita Allido mit ihrer Reliefskulptur eines Kulo oder Palmendiebs
Annita Alido schneidet das Sperrholz für ihre Reliefskulptur mit einer Stichsäge aus.
Bilder vom Leben auf den Inseln

Einige der Projektteilnehmer*innen des partizipatorischen Fotoprojekts auf der Insel Sulu-an, Guiuan, Ost-Samar, sind Fischer*innen, Arbeiter*innen aus den Dörfern, Verkäufer*innen auf dem Markt, Hausfrauen oder Lehrer*innen. Sie hatten von ein paar Wochen bis zu einem Monat Zeit, die Stärken und Schwächen ihrer Dörfer mit einer Einwegkamera zu fotografieren. Die Ergebnisse zeigen eine Innenperspektive, die sich vom touristischen Blick unterscheidet.

Foto von Melchor Badanoy
Foto von Flor Baduria
Foto von Kim Talavera
Foto von Jesusa Cabibijan
Foto von Elsa Yaranon
Foto von Bernard Alido
Salikhain Kolektib
ist ein interdisziplinäres Kollektiv auf den Philippinen, das in der Region Asien-Pazifik vernetzt ist. Das Kollektiv integriert Kunst, Forschung, Bildung und Engagement sowie Entwicklung in den Gemeinden in kollektive Kunstwerke und -initiativen. Den gemeinsamen Nenner bildet für die Mitglieder von Salikhain das gemeinsame Interesse an partizipativen Kunst- und Forschungspraktiken sowie an der Umwelt (https://www.salikhainkolektib.com).