Issue number: 1
30 November 2022
Lesezeit: 7′
Mayumi Hirano und Mark Salvatus (Load Na Dito)
„Kabit at Sabit“ ist eine Ausstellung von Load Na Dito aus dem Jahr 2019. Da wir in Zukunft weitere Veranstaltungen dieser Art durchführen möchten, betrachten wir die Ausstellung als einen Lernprozess, eine alternative Form der Schule, in der im Spannungsfeld zwischen Versuch und Irrtum, Theorie und Praxis heilsame Erfahrungen gemacht werden können. Dieser kurze Essay skizziert unser anfängliches Konzept von „Kabit at Sabit“, den Prozess des Erkennens, Reflektierens und des neu Denkens.
PA-KABIT at PA-SABIT ni ABET Nakakain-ba-ang-Kunst? Von Joey Cobcobo, Künstlerfreund*innen, Studierenden, Nachbar*innen und der Gemeinschaft der F.-Martinez-Straße in Mandaluyong City Foto von Rog Castillo II
Hintergrund und Gesamtkonzept

„Kabit at Sabit“ wurde als eintägige Ausstellung mit mehreren Standorten auf den Philippinen konzipiert, um unsere kritische Auseinandersetzung mit Methoden des Kuratierens fortzusetzen, mit denen wir nachhaltige lokale Kunstökologien generieren wollen. Wir fanden, dass der Ansatz der offenen Ausschreibung dem kuratorischen Streben nach Interdependenzen, nach kollektivem Überleben am besten entsprach.

Wir verbreiteten den Aufruf auf verschiedenen Social-Media-Plattformen mit einer einfachen Leitlinie: „Präsentieren Sie am 11. Mai 2019 ein Kunstwerk/Projekt außen an Ihrem Haus oder Atelier, auf der Straße oder an anderen öffentlich zugänglichen Orten im Freien.“ Drei Tage vor den Parlamentswahlen auf den Philippinen, bei denen öffentliche Räume und Social-Media-Seiten mit politischen Kampagnen bombardiert wurden, erkundete „Kabit at Sabit“ auch die erweiterte soziale Sphäre und spielte mit mehreren Ebenen der Betrachtungserfahrung, sowohl physisch als auch virtuell. Wir baten die Teilnehmer*innen, Fotos oder Livestream-Videos ihrer Arbeit gleichzeitig auf ihren Social-Media-Seiten mit dem Hashtag #kabitatsabit zu veröffentlichen. Die Teilnahme stand allen im Bereich Kunst und Kultur offen; 32 Einzelpersonen und Gruppen folgten unserem Aufruf und beteiligten sich an dem Projekt.

„Kabit“ ist ein philippinisches Wort für befestigt, verbunden oder fixiert, und das philippinische „Sabit“ kann grob mit hängen oder hängend übersetzt werden, wobei die zeitliche Begrenztheit und die Veränderbarkeit der materiellen Präsenz impliziert ist. Die Wörter verweisen auch auf soziale Beziehungen. So war die Ausstellung „Kabit at Sabit“ ein Ausdruck unseres Versuchs, mit Materialien und sozialen Bedingungen von Verletzlichkeit, Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit zu spielen.

Dayas Tasche, Pahiyas-Fest (undatiert) Bild mit freundlicher Genehmigung von Marvin Calimutan Verano und der Facebook-Gruppe LUCBAN: Historic Places, Ancestral Houses, People and Events

„Kabit at Sabit“ war inspiriert von der lokalen Tradition des jährlichen Pahiyas-Fests in der kleinen Landgemeinde Lucban in Quezon auf den Philippinen, bei dem die Einwohner*innen die Fassaden ihrer Häuser mit ihrer reichen Ernte schmücken. Neben den landwirtschaftlichen Erzeugnissen präsentieren die Einwohner*innen auch andere Lebensmittel, Kunsthandwerk und alles, was ihr Leben widerspiegelt: Schallplatten, Teddybärsammlungen, Bücher oder Fahrräder. Der Ursprung des Fests liegt in einem vorspanischen heidnischen Ritual aus dem 15. Jahrhundert, bei dem die Ernte den Gottheiten des Landes geopfert wurde. Nachdem die katholische Kirche einen Schutzheiligen für die Landwirtschaft bestimmt hatte, wurde es zu einem kirchlichen Fest.

Im Lauf der Zeit hat das Pahiyas-Fest durch Anpassungen, Umgestaltungen und Verschiebungen seine frühere Identität als eine doktrinäre Tradition der Kolonialmacht hinter sich gelassen und wurde zu einer kulturellen Praxis, die die Gemeinschaft durch den Austausch von Kreativität, Fähigkeiten, Wissen, Essen, Zeit, Spaß und die Sorge füreinander zusammenbringt.

Der verstorbene Kurator und Künstler Raymundo Albano beschrieb Pahiyas als ein Beispiel für eine authentische Form der Installationskunst auf den Philippinen. In dem Text „Installation: A Case for Hangings“ erörtert er Installationen „als eine Möglichkeit, um zu unserem authentischen Selbst durchzudringen“, und zwar in Verbindung mit der lokalen philippinischen Kultur und der natürlichen Umgebung. „Möglicherweise ist unser angeborener Sinn für Raum keine statische Wahrnehmung von Flachheit, sondern eine Erfahrung von Mobilität, Performance, Körperbeteiligung, physischer Beziehung in ihrer verbindendsten Form.“

Die kreativen, partizipatorischen, erfahrungsbezogenen und räumlichen Qualitäten des lokalen Fests destabilisieren den modernen westlichen Blickwinkel und erlauben es vielfältigen Perspektiven, langsam umherzustreifen und behutsam miteinander zu interagieren, wodurch neue Welten entstehen. Die künstlerische Form der Installation, die eine unkonventionelle Wahl von Medien und Produktionsmethoden zulässt, trug ebenso dazu bei, den unmittelbaren künstlerischen Ausdruck für die Räume des täglichen Lebens zurückzugewinnen.

„Kabit at Sabit“ wollte die Zentralität einer Ausstellung hinterfragen, indem es die Konzepte von Ort, Dauer und Öffentlichkeit problematisierte. Die Ausstellung fand zeitgleich an mehreren geografischen Orten statt, die lose durch das thematische Signal „Kabit at Sabit“ verbunden waren.

Hay.há.yan Houseaus 115 von Melissa Abuga-a Bild mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
Ungeheuer von Aze Ong Bild mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
MIL OBJETOS IT AKEAN (1000 Objekte in Aklan) Von Greys Lockheart in Zusammenarbeit mit den Northwestern Visayan Colleges, Aklan Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

Die Ausstellung war auch eine Kritik am Konzept der kuratorischen Auswahl. Es gab keine kuratorischen Eingriffe in die Pläne der Künstler*innen. Angetrieben von der Absicht, die bekannten Spannungen zwischen dem/der Kurator*in und den Kuratierten neu zu definieren, war die Ausstellung so konzipiert, dass sie auf der Basis von Unterschieden und einer Vielfalt von Ideen sowie Pluralismus der künstlerischen Herangehensweisen operierte, ohne in die kuratorische Gewohnheit zu verfallen, eine einheitliche Stimme zu schaffen, die eine bestimmte Art des „Lesens“ der Kunstwerke erzählt und verstetigt. Die Ausstellung erkundete einen Weg, um die direkte Verbindung der Kunstwerke mit dem Kontext ihres Produktionsorts zu erhalten.

Die kreativen Überlegungen und Vorstellungen für das nächste „Kabit at Sabit“

1.
ZIRKULATION, BETEILIGUNG UND EINBEZIEHUNG

Mit der Teilnahme von 32 Künstler*innen und Gruppen an verschiedenen Orten dezentralisiert das Projekt unserer Meinung nach erfolgreich die Betrachtungserfahrung. Trotzdem müssen wir im Rückblick feststellen, dass die Abhängigkeit von den sozialen Medien bei der Verbreitung der offenen Einladung die Reichweite des Projekts auf bestehende Netzwerke aus direkten und indirekten Freund*innen innerhalb starker Beziehungsgeflechte beschränkt hat. Alle Teilnehmer*innen, die auf unseren Aufruf geantwortet haben, kamen aus dem Kunst- und Kulturbereich, was zur Wahrnehmung von Kunst als hermetischem Diskurs beitragen könnte.

Wie können wir in Zukunft den Aufruf an ein breiteres Publikum unterschiedlicher Fachrichtungen, Generationen, Glauben vermitteln und dabei auch unsere Nachbar*innen erreichen? Zunächst müssen wir uns das Potenzial traditioneller Wege der Informationsverbreitung vorstellen wie Druckerzeugnisse, lokaler Rundfunk und mündliche Kommunikation. Dafür wollen wir uns die Hilfe der Teilnehmer*innen des vorherigen „Kabit at Sabit“ sichern. Dies könnte auch dazu beitragen, Kommunikationswege zu öffnen, um der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Desinformation entgegenzuwirken.

2.
DAS HYBRIDE DER AUSSTELLUNG

Soziale Medien wurden als paralleler Ausstellungsort genutzt, um die erweiterte soziale Sphäre zu nutzen, die durch den ständigen Wechsel zwischen Online- und Offlineräumen entsteht. Videos und Fotografien, die die Vorbereitung, die Arbeit und die Ausstellung zeigen, spielten bei der Archivierung und Zusammenstellung individueller Erfahrungen eine Rolle und eröffneten gemeinsame soziale Realitäten. Long-Distance-Teilnahmen wurden durch Hashtags miteinander verbunden. Zufällige Überschneidungen mit Posts auf #kabitatsabit in sozialen Netzwerken in nichtlinearer Reihenfolge veranlassten andere Künstler*innen zur spontanen Teilnahme. Ohne Bezug auf eine hierarchische, vorgegebene Struktur zeigte sich die Gesamtheit der Ausstellung eher als lose und transformative Formation von Parasit*innen denn als Ausdruck eines organisierenden Hosts. Die Hybridität führte zu intimen, irreführenden, manchmal inspirierenden und provokativen Begegnungen und erzeugte Geschichten und Energien mit, um oder durch Familien, Nachbar*innen, Gemeinschaften und Fremde.

3.
INTEAKTIONEN

Was können wir darüber hinaus noch berichten? Weil die Künstler*innen gleichzeitig ihre Werke in ihren eigenen Räumen ausstellten, war es für die Teilnehmer*innen oder Besucher*innen unmöglich, alle Kunstwerke während des Projekts zu besuchen. Weil wir unsere Kraft ebenfalls auf die Produktion und die Präsentation der Ausstellung konzentrierten, haben wir es nicht geschafft, unter den Teilnehmer*innen aktivere Interaktionen und reale Erfahrungen zu ermöglichen. Indem wir uns über Ideen und die realen Erfahrungen austauschen und daraus lernen, könnte „Kabit at Sabit“ zu einer Lernplattform werden, auf der die Teilnehmer*innen ihre Energie zur Vorbereitung, Präsentation, Reflexion und Planung des nächsten Projekts teilen können. Der kontinuierliche Prozess der Interaktionen wird eine gemeinsame Vorstellung davon entstehen lassen, wie die Fürsorge füreinander und ein Gefühl der Miteigentümer*innenschaft an „Kabit at Sabit“ gestärkt werden kann. Es ist vielleicht ohnehin zutreffender, sich „Kabit at Sabit“ als einen Raum für gegenseitiges Lernen vorzustellen, in dem auch das kollektive Überleben geübt wird.

Mayumi Hirano und Mark Salvatus (Load Na Dito)
Load Na Dito (2016) ist eine Kunst- und Forschungsinitiative aus der philippinischen Hauptstadt Manila. Sie wurde als eine „Kultur des Selbstgemachten“ konzipiert und nutzt jeden verfügbaren Raum als Ort für den Wissensaustausch, Forschung und Diskussion. Load Na Dito (was so viel heißt wie „Jetzt hier aufladen“) ist ein lokales Aufladesystem für Handyguthaben, das überall da verfügbar ist, wo man das Schild „Load Na Dito“ sieht. Die Initiative nimmt sich diese Idee zum Vorbild und schafft Projekte an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Formaten und Größen. Durch die Organisation und Mitorganisation eines breiten Spektrums von Programmen hofft Load Na Dito, die Fragen von Teilhabe und Zusammenarbeit in Bezug auf die Praxis der zeitgenössischen Kunst kritisch anzugehen.