Unvorhergesehenes zulassen
Warum steht das Design vor der besonderen Herausforderung, seine Epistemologien, seine Methoden der Wissensproduktion, seine Logik und Historiografien zu hinterfragen?
Ich würde nicht sagen, dass das speziell auf die Disziplin Design zutrifft, obwohl es bemerkenswert ist, wie sehr in den letzten Jahren ein besonderer Widerstand gegen diese Frage aufgekommen ist und sich noch immer weigert, wieder zu verschwinden. Aber davon abgesehen glaube ich, dass viel davon abhängt, wie das, was als „Wissen“ gilt, organisiert und verstetigt wird, nämlich als eine eigenständige, kartierbare und immer messbare Reihe von Kennzahlen. Dadurch erhält das, was als reproduzierbar und nachweisbar angesehen wird, immer Vorrang vor dem Subjektiven, dem glücklichen Zufall, dem Intuitiven, dem Relationalen und Spirituellen. Das, was „Design“ genannt wird, stellt tatsächlich nur zur Schau, was mit seinen Methoden zum Vorschein gebracht wurde. Mit anderen Worten: Mit seinem Wunsch, einzuschränken, zu kartieren, zu messen, zu quantifizieren und zu reproduzieren, kann Design nur für seine eigenen Absichten und seine ontologischen und epistemologischen Einschränkungen geradestehen. Daher könnte es schwierig sein, die Idee loszulassen oder loszuwerden, dass Design, selbst bei seinem (historischen) Versuch, sich von der starren Unterscheidung zwischen harter und weicher Wissenschaft zu befreien, immer noch stark an die extraktiven und messbaren Methoden gebunden ist, mit denen das koloniale Weltbild produziert und reproduziert wird. Das geht mit einem gewissen Maß an Narzissmus in der Disziplin einher und mit der Angst, dass wir durch die Infragestellung des Wissens, das durch Designmethoden gewonnen wird, womöglich die Grenzen auflösen, die das Design von anderen Bereichen und Methoden trennen, und dass es schwieriger wird, die liebgewonnene Überheblichkeit angesichts der Beherrschung der eigenen Disziplin (und des Engagements für sie) aufrechtzuerhalten.
Wie kann Design von seiner Verstrickung mit westlichen Vorstellungen von Universalität befreit werden?
Zu allererst, indem es seine eigene Rolle nicht nur bei der Reproduktion, sondern auch bei der Verstetigung dieser Vorstellung von Universalität anerkennt. In seiner Einleitung zu Schwarze Haut, weiße Masken (1952, dt. 1980) skizziert Frantz Fanon die Begrenzungen von Methoden, ihre Unzulänglichkeiten, wenn es um soziale und psychologische Fragen geht, und die Konsequenzen eines rassistischen Seins und Tuns in der Welt. Seiner Meinung nach „gibt es einen Punkt, an dem die Methoden verschwinden“. Aber ich finde das, was er als Nächstes gesagt hat, sogar noch wichtiger: dass diese Annahme unser nächster, einzig logischer Ausgangspunkt sein sollte.[1] Designer*innen können noch viel lernen, wenn sie sich auf nichtextraktive Handlungsweisen einlassen, die lokale Kosmologien und Vorstellungsweisen anerkennen. Auch wenn man sagen könnte, dass jüngere Versuche der „Dekolonisierung“ oder „Pluriversalierung“ des Designs das in Gang gesetzt haben, habe ich bisher noch keine Ansätze gesehen, die nicht schon wieder versuchen, etwas zu „korrigieren“ oder zu „entwerfen“. Ich sage das, weil meiner Meinung nach (und der von vielen Kolleg*innen, die sich im selben Kampf engagieren) dafür eine starke Ablehnung von Universalität zugunsten von kleinen Lokalismen, zugunsten von Möglichkeiten notwendig wäre, die immer schon mit Bezug auf das koloniale Weltbild reagieren, es aber nicht als Bezugssystem betrachten. Um es ganz klar zu sagen: „Universalität“ ist kein Vektor, sondern ein dichtes Netzwerk, eine Fiktion mit materiellen Konsequenzen, die, wie jede andere Fiktion, auch als solche behandelt werden muss. Darum ist die Frage, mit der wir uns befassen müssen: Wie erschweren die Vorstellungen von Universalität das Design kleinerer Lokalismen, oder wie können andere, lokale, kontextuelle und positionale Designs koloniale Vorstellungen von Universalität erschweren oder schließlich sogar abbauen?
Wie können wir die Wirkmächtigkeit von Design über die westlichen Lösungen und anthropozentrischen Modelle hinaus neu denken?
Oft ist es die Angst vor dem Neuen, die einen Großteil des Denkens und Tuns im Design erzwingt. Ich glaube aber, dass es noch viel zu tun gibt, um das rückgängig zu machen, was Schlagworte wie „Innovation“ verursacht haben, die andere Stimmen und Arten des Seins und Tuns zum Verstummen gebracht haben. Das bringt uns über die Fragen der „Menschenzentriertheit“ hinaus, die im Designwissen der letzten Jahre so präsent war. Ich denke, dass nicht nur den anthropozentrischen Designarten Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, sondern auch dem Beitrag des Designs zu rassistischen und rassifizierten Systemen und seine Verstrickung darin. Tatsächlich ist es eigentlich die Vorstellung von einem „Zentrum“, die überhaupt erst die Idee von „Zentriertheit“ entstehen lässt. Das ist ein so vorherrschendes Konzept im Designdiskurs, dass wir seine Logik und Grammatik kaum einmal hinterfragen. Aber wenn Design von einem relationalen Standpunkt aus betrachtet würde, könnten wir „den Menschen“ nicht nur aus der Mitte rücken (und entthronen) und so seine Konstruktion als Bezugspunkt für das „Sein“ bloßstellen (oder, wenn wir Sylvia Wynter folgen, der „Überrepräsentation des Menschen“[2]), sondern zugleich auch die Ausgrenzungen aufheben, die das Design denen auferlegt hat, die historisch und auch heute nicht an der Vorstellung von der „Menschheit“ teilhaben.
Welche alternativen Emanzipationsansätze werden in der Praxis und in Diskursen über die Dekolonisierung des Designwissens und der Designbildung angesprochen?
Ich glaube fest daran, dass mögliche Antworten auf diese Fragen – oder Beschäftigungen damit, denn vielleicht kann man darauf keine feststehenden oder stabilen „Antworten“ geben – sich nicht im Design finden lassen. Wahrscheinlich wurden diese Antworten schon vor langer Zeit gegeben, und wir Designer*innen haben einfach nicht zugehört. Diese Antworten könnten uns indigenes Wissen, die antikolonialen Kämpfe, die feministischen Revolutionen und anderes mehr gegeben haben. Von dem Augenblick an, an dem wir uns von der Vorstellung lösen, dass „Dekolonisierung“ im Design – oder auch in jeder anderen Art der Wissensproduktion – etwas Neues ist, erkennen wir, was die epistemischen Mittel des Kolonialismus versucht haben auszulöschen, nämlich die Vorstellung, dass Wissen nicht fest, stabil, nicht immer messbar, nicht immer universell anwendbar und nicht immer auf kurzfristige, verpackbare „Tools“ oder „Methoden“ reduziert werden kann, die ohne Kontext und nach Wunsch angewendet und ausgetauscht werden können.
Daher ist ein emanzipatorischer Designansatz der Knüpfung neuer Allianzen verpflichtet, solchen, die von vornherein an die Erhaltung von Land, Wasser, Nahrung, Sprache, Communitys[3] und das größere Projekt der Dekolonisierung gebunden sind, das heißt, um Denise Ferreira da Silva zu paraphrasieren, an die Wiederherstellung des gesamten Werts, der Körpern, Land und Wissen entrissen wurde.[4] Das mag wie ein unmögliches Projekt erscheinen, doch dass es bisher nichts Vergleichbares gibt, sollte nicht bedeuten, dass man es nicht versuchen sollte, dass man nicht die kleinen Gesten ausführen sollte, die wir brauchen, um uns in diese Richtung zu bewegen.[5] Diese Allianzen müssen notwendigerweise die Arbeit des Zuhörens, der Erneuerung, des Erschütterns übernehmen und immer unvollständig bleiben, um sich produktiv mit der Verletzlichkeit und der Relationalität zu befassen, die diese Welt zusammenhalten. Dies muss eine Art des Denkens sein, die frei von jedem Wunsch ist, Lücken zu füllen oder Wissen als etwas zu betrachten, was man schürfen kann, denn selbst wenn sie „von etwas lernen“, glauben Designer*innen oft, dass ihre Arbeit das Gelernte in reproduzierbare, veröffentlichbare (das heißt verkaufbare) Methoden übertragen und/oder kategorisieren soll. Kurz gesagt: Lassen Sie mich antworten, indem ich undurchsichtig bleibe: Ein emanzipatorischer Designansatz erfordert ein nichtdesignerisches Herangehen an das Design.