Issue number: 2
06 December 2022
Lesezeit: 9′
Yaa Addae
Hallo, ich bin Yaa Addae. Willkommen beim Grundkurs „Restaurative Liebesökonomie“, eine Meditation über die Vermittlung von Fürsorge mittels der Technik der Fantasie.
Yaa Addae
Selfporträt

Begeben Sie sich in eine bequeme Position, in der Sie stabil sind. Legen Sie sich, wenn möglich, hin. Ich lade Sie ein, Ihre Hände auf Ihre Brust zu legen und die Augen zu schließen, während wir uns vorstellen, was wir der andauernden strukturellen Gewalt entgegensetzen können.


Wie fühlt sich Ihr Körper in diesem Moment an? Achten Sie auf Ihre Gefühle und Gedanken, die Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen.

Atmen Sie ein und zählen dabei bis drei und wieder aus. Sie haben ein Portal erreicht. Während Sie nach der Weite vor Ihnen greifen, geht eine Welle der Ruhe durch Ihren gesamten Körper. Sie legen sich langsam in sie hinein, fühlen sich entspannt und neugierig, während Sie in eine Erinnerung gleiten.

 

 


Wann hatten Sie das letzte Mal das Gefühl, dass jemand Sie mag?

Rufen Sie sich diese Wärme in Erinnerung, und versinken Sie in ihr.

In diesem Jahr haben mich die folgenden Dinge tief berührt:
— der Mut, der für eine echte Verbindung notwendig ist
— wie ich mich in Richtung einer freundlicheren Zukunft liebte
— Design als Handlung, die eine in Fürsorge verwurzelte Welt heraufbeschwört

Die Wurzel meiner kreativen Praxis besteht darin, Raum für andere zu schaffen. Das zeigt sich in einer Reihe von Arbeitsweisen und Medien, mit denen ich als Community-Forscherin für ein Designstudio, als partizipatorische Kuratorin und Autorin tätig bin. Der Brennpunkt meiner Arbeit hat sich mit der Zeit von der Nutzung von Spiel hin zur Authentizität verschoben, dazu, das Potenzial der Fantasie zu ermutigen, neue Visionen der Welt und, in genau diesem Moment, Liebe als Balsam gegen soziale Entfremdung zu kultivieren. Für ein Gefühl, das so viele Formen annimmt wie die Leben, die sich unter seinem Einfluss verändert haben, ist die Liebe noch immer zu wenig erforscht. Man könnte viel darüber sagen, wie die moderne kapitalistische Gesellschaft die Langsamkeit aus unseren Leben weggestaltet hat. Daher müssen wir die Gewohnheit kultivieren, bei uns selbst nach dem Rechten zu schauen. bell hook schreibt in ihrem Buch All About Love: New Visions (das als Grundlage der schwarzen feministischen Studien über die Liebe gelten kann): „Um unsere Herzen der Macht und Anmut der Liebe weiter zu öffnen, müssen wir den Mut haben zuzugeben, wie wenig wir über die Liebe in Theorie und Praxis wissen … Wir sehnen uns danach, die Lieblosigkeit zu beenden, die unsere Gesellschaft so stark durchdringt. Dieses Buch erklärt uns, wie wir zur Liebe zurückkehren können.“ Es war diese Denkweise, die mich zu den Anfängen meines immer noch andauernden experimentellen Forschungsprogramms Open Heart Clinic animierte. Mein Herz ist ein Kompass, dem zu folgen ich noch immer übe, in meiner Arbeit als Designerin und als fortwährende Schöpferin meines Lebens.

Carrie Mae Weems, Untitled (Woman brushing hair), 1990

Über eine ziellose Nabelschau hinaus ist diese positive Besessenheit davon, wie wir uns gegenseitig nähren, von einer rigorosen Ethik der Fürsorge geprägt, die für unser Überleben in einer entschieden gegen die Liebe gerichteten politischen Landschaft notwendig ist.

Es ist ein Akt des Widerstands, auf die zu blicken, denen Fürsorge vorenthalten wird – Schwarze, queere Menschen oder Angehörige der Arbeiterklasse –, Menschen, die seit Jahrhunderten die gesellschaftlichen Angriffe auf unser Sein abgewehrt und zu etwas Besserem verwandelt haben. Wenn es so etwas wie strukturelle Gewalt gibt, dann muss es auch die Möglichkeit struktureller Liebe geben. Letzten Endes ist Design ein Prozess, der eine Idee in diesem Bereich heraufbeschwört, und indem es das tut, schafft es Platz für eine Reihe von Verhaltensweisen.


Die restaurative Liebesökonomie als System fragt: Was bedeutet es, Liebe an die umzuverteilen, die systematisch zu wenig geliebt werden?

In den vergangenen Monaten habe ich außerdem über diese beiden Fragen meditiert:
— Wie hat ein systemisches Trauma unsere Fähigkeit zu Intimität und Nähe verändert?
— Welche Hindernisse müssen systematisch zu wenig geliebte Gemeinschaften beim Lieben und Geliebtwerden (familiär, romantisch, platonisch usw.) überwinden?

Inspiriert von Ntozake Shanges Theaterstück for coloured girls who have considered suicide/when the rainbow is enuf, von indigenen afrikanischen Heilriten (oder was der nigerianische Dramatiker und Schriftsteller Wole Soyinka das „Drama der Götter“ nennt) und von meiner Ausbildung zur Moderatorin der Emotional Emancipation Circles of the Black Therapy Network (Kreise für emotionale Emanzipation des Therapienetzwerks für Schwarze), habe ich ein persönliches Interesse daran zu erforschen, wie ein systemisches Trauma unsere zwischenmenschlichen Beziehungen verändert, und zu prüfen, wie die Designgerechtigkeit einen Ort für eine Wiedergutmachungsarbeit bereitstellen kann.

Image of Poem by June Jordan Resolution #1,003 Aus: June Jordan, Haruko / Love Poems, New York & London: High Risk Books, 1994, S. 14.
Image of Poem by Lucille Clifton Aus: The collected poems of Lucille Clifton 1965–2010, Rochester, New York: BOA Editions, 2012, S. 694.

 

 

UM DIESE FRAGEN ZU BEANTWORTEN, MÜSSEN WIR ZUERST:

Lieblosigkeit erkennen

Um der strukturellen Gewalt mit struktureller Liebe entgegenzutreten, müssen wir uns zunächst auf die Feinheiten der Lieblosigkeit einstimmen. Wenn für die Überwachungsarbeit der Polizei mehr finanzielle Unterstützung bereitgestellt wird als für das Gesundheitswesen, ist das Antiliebe. Wenn ein*e Polizist*in in ein Klassenzimmer in Großbritannien gerufen wird, weil ein 15-jähriges schwarzes Mädchen „verdächtigt“ wird, Marihuana bei sich zu haben, statt darauf mit Fürsorge zu reagieren, ist das Antiliebe. Wenn ein Beamter vorschlägt, dass Menschen angesichts der kritisch gestiegenen Lebenshaltungskosten, die eine ältere Frau veranlasst haben, Bus zu fahren, damit ihr warm bleibt, einfach mehr Geld verdienen sollen, dann ist das Antiliebe.

Eine genauere Sprache für die Liebe finden

Liebe inklusive ihrer Blutbahnen, zum Beispiel Fürsorge, Hingabe und Verlangen, sorgt für mehr als nur soziales Kapital und Respekt. Sie ist ein Kennzeichen dafür, wer leben darf – und zwar gut. In der Religion der Yoruba, Ifa, wird die Erde als Marktplatz betrachtet, auf den die Seelen kommen, um Weisheit und Erfahrungen zu erwerben. Auch Liebe ist eine Ressource, eine, die auf so unterschiedliche Weisen erforderlich ist, dass alle Versuche, sie zu definieren, etwa mit den beliebten Sprachen-der-Liebe-Tests, Bedürfnisse immer noch nicht so gut ausdrücken, wie sie könnten. Die restaurative Liebesökonomie erfordert es, Menschen zu fragen, wie sie außerhalb kapitalistischer Einschränkungen geliebt werden wollen, und speziell auf diese Bedürfnisse zu reagieren.

Die Fähigkeit zur kollektiven Intimität wiederherstellen

Wohin führt uns also der weitere Weg? In ihrem Essay On the Issue of Roles merkt Toni Cade Bambara an, dass „Revolutionen mit dem Selbst, im Selbst beginnen. Das Individuum, die grundlegende revolutionäre Einheit, muss von Gift und Lügen gereinigt werden, die das Ego angreifen und das Herz bedrohen, die eine Gefahr für die größere Einheit darstellen – das Paar –, und die die noch größere Einheit bedrohen – die Familie oder Zelle –, die das Leben der ganzen Bewegung bedrohen.“ Systemische Gefahren zu beseitigen, indem man sich in einem Rahmen der restaurativen Liebesökonomie vorwärtsbewegt, heißt, die Abwesenheit von Fürsorge in den sozialen Systemen zu heilen und unsere Fähigkeit zur Intimität im großen Rahmen wiederherzustellen, indem wir uns selbst verändern.

 

Yaa Addae
ist eine Kuratorin, Autorin und Künstlerin, die als Community-Forscherin beim Designstudio COMUZI arbeitet. Ihre Arbeit wird von der befreienden Kraft von Fantasie, Spiel und der restaurativen Liebesökonomie geprägt, die denen Liebe bringt, die nicht genug geliebt werden. Zurzeit wohnt sie in London und Accra und ist Kulturredakteurin für die panafrikanische Plattform für Frauen, AMAKA, und leitet das digitale Studio A-kra, das eine Online-Kunstgeschichtsplattform (Decolonize The Art World) und ein Virtual-Residency-Programm (The Imaginarium) anbietet. Sie hielt Vorträge im Southbank Centre in London, bei der Nubuke Foundation in Accra sowie im Barbican Centre in London und leitete Workshops für Organisationen wie Autograph ABP, die Church of Black Feminist Thought, die Library of Africa and The African Diaspora sowie Rumpus Room. Im Zusammenhang mit der Ausstellung „Swimmers Limb“ in der Gallery 31 im Somerset House in London leitet Yaa Addae derzeit einen Workshop über die Einrichtung zukünftiger Pflege- und Fürsorgestrukturen.