Termokiss: Alte Gesetze in Pristina mit neuen Praktiken bekämpfen
Termokiss entstand 2016 als Reaktion auf eine Welle von zwangsweisen Privatisierungen von Räumen und Unternehmen, die bis zum Ende des Kriegs 1999 in staatlichem oder gesellschaftlichem Besitz waren. Gemäß den neoliberalen Grundsätzen der UN-Missionsverwaltung im Kovoso (UNMIK) wurde eine enorme Zahl von ehemaligen Fabriken, Grundstücken und Einrichtungen an lokale und internationale Unternehmen und Konzerne übergeben in der Hoffnung, so eine wirtschaftliche Wiedergeburt zu erreichen. Doch die angeblichen Trickle-down-Effekte haben sich immer wieder als Farce erwiesen. Die extensive Recherche, die die Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin Rita Augestad Knudsen über die frühen Stadien der Privatisierung durchführte, zeigt, dass sich unter den Hunderten Menschen, die sie interviewte, kein*e einzige*r Hauptakteur*in befand, der oder die der beschleunigten Privatisierung jener Zeit eine alternative Lösung entgegenstellen konnte. Aber das verändert sich. Jüngere Generationen im Kosovo haben neue Initiativen entwickelt, um den öffentlichen Raum zurückzufordern. Termokiss ist eine davon.
Das bahnbrechende Gemeinschaftszentrum in Pristina wurden von Toestand initiiert, einer belgischen Nichtregierungsorganisation (NGO), die darauf spezialisiert ist, verlassene Gebäude wieder in Besitz zu nehmen, und die mithilfe einiger weniger Leute aus dem Kosovo das Zentrum zum Leben erweckte. Termokiss besetzte zunächst ein Haus, wurde dann aber in einem ehemaligen Gebäude des städtischen Heizwerks untergebracht, Termokos. Die Community bestand aus Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, die versuchten, sich mit der Idee eines öffentlichen Raums auseinanderzusetzen. Für kurze Zeit funktionierte das ohne Genehmigung. Später stimmte die Stadt Pristina der Nutzung zu und tarnte das als „Sonderbeschluss“. Obwohl Termokiss damit als Beispiel voranging, entstand kein rechtlicher Rahmen, der andere derartige Transformationen des öffentlichen Raums zulässt.
In den ersten sechs Monaten ihres Bestehens organisierte die Termokiss-Community mehr als 600 Aktivitäten (Musikveranstaltungen, Schulungen, Filmvorführungen und anderes mehr). Solche Initiativen spiegeln den Hunger der jüngeren Generationen auf einen neuen Ansatz wider, auf Räume, in denen die Mitglieder der Community sich frei ausdrücken können, sich neue Wege der Kunstschaffens und -ausstellens, des Wissensaustauschs und der Bildung eröffnen und verschiedene Ebenen des Bewusstseins und der Achtsamkeit für die Umgebung geschaffen werden können.
Die Community schuf innerhalb der ersten Wochen die Grundlagen für die Strukturen und Entscheidungsfindungsprozesse. Termokiss trifft Entscheidungen in einer strikt horizontal ausgerichteten Struktur. Es gibt keine Hierarchie; Beschlüsse werden in wöchentlichen Meetings jeweils mittwochs gefasst. Dabei gilt das Prinzip „Ein Mitglied, eine Stimme“. Die Tradition der Mittwochstreffen wurde seit der Gründung von Termokiss vor sechs Jahren immer beibehalten. Die Einladungen dazu erfolgen mündlich sowie über E-Mails und Social-Media-Gruppen und -Plattformen.
Diese Struktur der Entscheidungsfindung wurde vollständig aus den laufenden Aktivitäten hergeleitet, die in den Räumen stattfanden. Als die Zahl der Veranstaltungen, die die Community organisierte, zunahm, zog der Ort immer mehr Leute an. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wuchs ständig weiter und ebnete so den Weg zu einem ausgestalteten Entscheidungsfindungsprozess. Auch wurde deutlich, dass es Prinzipien brauchte, die als Säulen der Community und des Orts dienen.
Die Community besteht aus Mitgliedern und Mitarbeiter*innen, die sich um den Raum kümmern, und die bei den wöchentlichen Treffen gewählt werden, wo auch andere wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Mitarbeiter*innen sind den Mitgliedern gleichgestellt, aber sie tragen auch die Verantwortung für die Koordinierung und Leitung des Projekts, aus dem ihr Einkommen generiert wird.
Die Prinzipien von Termokiss wurden in einem langen und offenen Prozess festgelegt, in dem die Community-Mitglieder stundenlang über Fragen des Wordings, der Inklusion, Grenzen (oder keine Grenzen), Aktivitäten und Funktionalitäten verhandelten. Von allen Prinzipien, an die sich alle halten, sind das intergenerationelle Teilen und die Inklusion diejenigen, die am meisten Zuspruch finden.
Das Prinzip des intergenerationellen Teilens erfordert von den leitenden Mitarbeiter*innen, dass sie ihre Positionen alle zwei Jahre weitergeben, damit andere Mitglieder sie übernehmen und Erfahrungen mit derartigen Räumen und Bedingungen sammeln können. Da es in der Regel Mitglieder sind, die am meisten Zeit im Zentrum verbringen, haben sie die Möglichkeit, es in die Richtung ihrer Interessensgebiete zu steuern. So kommen unterschiedliche Ansätze und Prioritäten für die Community zustande.
Das Prinzip der Inklusion besagt, dass jeder bei Termokiss willkommen ist, aber es beruht auch auf den Vereinbarungen, die bei den wöchentlichen Treffen getroffen werden, und auf den einzelnen Menschen, die kommen. Es gibt für dieses Prinzip klare Grenzen. Die Inklusion erstreckt sich nicht auf Menschen, die ein rechtsextremes Weltbild haben, in irgendeiner Form gewalttätig sind, die Aktivitäten im Zentrum stören oder sich anderweitig so betätigen, dass es den Prinzipien und Regeln des Zentrums widerspricht.
Die basisdemokratische Etablierung dieser Prinzipien reflektiert die Prozesse, Aktivitäten und die Arbeit, die im Zentrum stattfinden, und harmoniert unmittelbar mit den Rahmenbedingungen, die sich in der Community entwickelt haben.
Die Bedeutung dieses Prozesses wird durch die Forschung von Elinor Ostrom, Trägerin des Nobelpreises für Wirtschaft, unterstützt. In ihrem Buch Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action erklärt sie ganz deutlich, dass Gemeinschaften, die gemeinsam einen Raum instand halten und nutzen, eher scheitern, wenn sie keine klaren Prinzipien haben.
Das Entstehen der Community durch Aktivitäten und den Austausch mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen hat einen allgemeinen Kampf für öffentliche Räume entfacht. 2017 tat sich die Termokiss-Community mit verschiedenen NGOs und Einzelpersonen aus dem ganzen Kosovo zusammen, um die Initiative „Mundësi për Krejt“ (Möglichkeit für alle) an den Start zu bringen. Der Hauptzweck dieser Initiative war es, eine Änderung der Gesetze zu bewirken, mit denen die Zuteilung für die Nutzung und den Austausch von städtischen Immobilien geregelt wird. Dabei ging es vor allem um die monopolistische Macht, mit der Konzerne und Unternehmen öffentliche Räume, die der Stadt Pristina gehören, für sich beanspruchten, und um die fehlenden Voraussetzungen für NGOs und Initiativen, um dieselben Ansprüche geltend machen zu können. Ähnlich kritisch wurden die fehlende Transparenz und das Gesetz betrachtet, das besagt, dass nur Geschäfts- und Marktaktivitäten dem Wohl der Allgemeinheit dienen.
Daher startete die neue Allianz der NGOs eine Petition für eine Gesetzesänderung. Sie wurde von Tausenden Menschen unterzeichnet, die denselben Kampf führten oder die die Idee unterstützten, dass Bürger*innen Anspruch auf ein ungenutztes Grundstück erheben können.
Im April 2019 trat das neue Gesetz in Kraft, das die Zuteilung von städtischen Immobilien für den Gebrauch und Tausch regelt. Obwohl nicht alle Empfehlungen im Gesetz berücksichtigt wurden, kam die wichtigste doch zum Tragen, nämlich die, bürgerschaftliche Initiativen und NGOs als juristische Personen anzuerkennen. Damit wurden sie in die Lage versetzt, städtische Immobilien für sich zu reklamieren. Das eröffnete ganz neue Dimensionen für die Nutzung öffentlicher Räume, und es gab nun eine rechtliche Grundlage für weitere Aktivitäten in diesem Bereich. Das neue Gesetz bietet Transparenz, wenn es um die Identifizierung und Beanspruchung von Räumen für den öffentlichen Gebrauch geht. Es verpflichtet die Gemeinde, jede Immobilie offenzulegen, die sie besitzt, ebenso wie alle Pläne, die die Gegenwart oder Zukunft eines Grundstücks betreffen.
Der Erfolg dieser Initiative warf ein ganz anderes Licht auf öffentliche Räume und ihre Nutzung und Transformation. Den Menschen wurde nicht nur bewusst, dass solche Räume existieren und welche Möglichkeiten sie bieten, sondern es entstanden auch neue partizipatorische öffentliche Diskurse und ein Gefühl der Ermächtigung, auf denen künftige Projekte und Initiativen aufbauen können.
Die vielfältigen Projekte, die von der Öffentlichkeit initiiert werden, sind oft mit Vereinen verbunden. Tatsächlich spielte die Gründung von Vereinen von Anfang an eine zentrale Rolle dabei, rund um Termokiss eine Gemeinschaft zu bilden, etwa Nachbarschaftsvereine, der Jonglierclub, Musikvereine und der Videoclub. Vereinstreffen und -aktivitäten haben eine Unmenge von Leuten ins Zentrum gebracht. Diese zunehmende Beteiligung hat für einen sehr gesunden sozialen Zusammenhalt gesorgt, was auch die Nutzung des Raums geprägt hat.
Die Community hat viele andere Initiativen hervorgebracht, von denen manche sich so gut etabliert haben, dass aus ihnen eigene NGOs geworden sind. Ein Beispiel dafür ist „Bukë për Krejt“ (Brot für alle). Was als Gedankenspiel darüber begann, wie man Essen an Menschen in Not verteilen kann, ist mittlerweile zu einer großen Initiative geworden. Die Organisation, die von vielen Aktivisten unterstützt wird, verteilt täglich oder wöchentlich Lebensmittel an Bedürftige. Es handelt sich dabei um eine der führenden Initiativen, die aus der Termokiss-Community entstanden sind.
Ein weiteres Beispiel ist ein kürzlich geschaffenes Kollektiv, dessen Name sich grob mit „Der Name kommt zuletzt“ übersetzen lässt. Das Kollektiv arbeitet zurzeit in der Stadt Fushë Kosova mit ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Termokiss-Community. Die kleine Stadt mit einer diversen Bevölkerung liegt nur zehn Kilometer von Pristina entfernt und wird von Albanern, Serben und Roma bewohnt. Die Hauptidee war es, den „Stab weiterzureichen“, also die Tools, die von Termokiss entwickelt wurden, zur Weiterbenutzung und zum Wiederaufbau verlassener Gebäude und Räume in Fushë Kosova zu verwenden. Dahinter steht die Vorstellung, eine Gemeinschaft zu erschaffen und dabei das Bewusstsein für das Potenzial der kommunalen – im Gegensatz zur gewerblichen und unternehmerischen – Nutzung verlassener Bauten und Grundstücke zu stärken. Zugleich will das Kollektiv zeigen, dass diese Art von Initiative nicht nur in großen Städten funktioniert.
Wie andere laufende Initiativen reflektieren diese beiden Projekte ganz klar die starke Gegnerschaft der Community zu kapitalistischen Werten und ihr kraftvolles Engagement für die Schaffung alternativer Methoden zur Verbreitung von Wissen, Ideen und Waren an alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Einkommen.
Die Termokiss-Community wirbt bei verschiedenen Geldgebern sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene und unter Umständen auch bei institutionellen Stellen um Unterstützung. Projektanträge werden in enger Abstimmung mit den Mitgliedern der Gemeinschaft geschrieben und eingereicht und hängen stark von den jeweils aktuellen Notwendigkeiten ab. Die Förderung ändert sich den Erfordernissen der Öffentlichkeit entsprechend. Diese werden im Community-Projekt diskutiert, woraus die Pläne für zukünftige Investitionen, Infrastrukturen und Werkzeuge entstehen.
Termokiss wird aus einem 300 Quadratmeter großen Gebäude betrieben, das von einem Garten umgeben ist. Der Raum ist eine sehr wichtige Ressource, denn er garantiert die laufenden Aktivitäten der Community, die wiederum versucht, die Größe des Gebäudes so gut wie möglich auszunutzen. Die Vermietung von Räumlichkeiten ist eine Einkommensquelle, auch wenn nicht immer eine Gebühr für die Nutzung des Gebäudes erhoben wird. Jungen Initiativen, NGOs und lokalen Musikgruppen wird sie oft erlassen. Aber Institutionen, internationale und wohlhabende Organisationen müssen eine Gebühr zahlen und damit direkt zur Finanzierung des Raums und der Community beitragen.
In den vergangenen Jahren wurde der Garten in eine Quelle der Selbstversorgung verwandelt. Er funktioniert wie ein Stadtgarten, seine Früchte werden von der Gemeinschaft geerntet und verbraucht. Er wird auch sehr oft von der Initiative „Bukë për Krejt“ genutzt, um Essenspakete für Menschen in Not zusammenzustellen.
Letztlich sind alle Initiativen, die öffentliche Räume auf ähnliche Weise nutzen, am selben Kampf darum beteiligt, finanziell unabhängig zu bleiben, im Kosovo ebenso wie an vielen anderen Orten der Region. Es gibt zu wenige Quellen für finanzielle Unterstützung, die mit dem Wertesystem der Community kompatibel sind. Während es dadurch schwieriger wird, alles am Laufen zu halten, stellt es die Community auch vor die Herausforderung, neue Methoden und Ideen zu finden, um Gelder aufzutreiben und zu nutzen.
Da Termokiss nun schon sechs Jahre lang besteht, ist es längst keine Neuheit mehr, sondern ein wichtiger Teil des Alltags. Es hat Menschen den Glauben daran gegeben, dass nachhaltige und sichere soziale und gemeinschaftlich genutzte Räume weiterbestehen können – und müssen. Sogar staatliche Institutionen haben den Wert solcher Initiativen mittlerweile erkannt. Viele ihrer Repräsentanten respektieren die Ideen, die solche Initiativen vertreten und erforschen, und sie sehen sich die innovativen Weisen an, mit denen die Initiativen gezeigt haben, wie Gemeinschaftsräume genutzt werden können und wie sie zum sozialen Gefüge beitragen. Neben der erfolgreichen Gesetzesänderung haben Termokiss und andere derartige Initiativen dazu beigetragen, nicht nur eine Plattform für die Rückforderung öffentlicher Räume zu schaffen, sondern auch eine Brücke zwischen Menschen und Institutionen zu bauen, damit sie gemeinsam an der Zukunft der Räume, die uns umgeben, arbeiten können.