Vorwort: Reisende Konzepte jenseits des Bauhaus
Das Center of Industrial Design (CDI), 1987 in Montevideo im Kontext sogenannter Cooperation Programs gegründet, gilt als Pionierinstitution für modernes Design in Uruguay. Lucia Trias, eine ehemalige Studentin dieser neuen Ausbildungsstätte für moderne Gestalter*innen, hat in ihrer Masterarbeit im Programm COOP Design Research am Bauhaus Dessau die Mechanismen der Design-Wissenskonstruktion am CDI untersucht. Die Formierung dieser Schule für Industriedesigner*innen, das arbeitete Lucia Trias heraus, war eng verbunden mit „development discourses“ die dem Design eine zentrale Rolle bei der Modernisierung des südamerikanischen Landes zuschrieben.
Der Anspruch universaler Gültigkeit europäischer Modernisierungen als Modell für wirtschaftlichen und politischen Fortschritts für andere Regionen gehörte dabei ebenso zum Vokabular der europäischen „Expert*innen“ wie die Vorstellung, dass Design unmittelbar mit Innovation, Kreativität und Optimierung verbunden sein und zur Lösung ökonomischer Probleme beitragen kann. Eine Perspektive auf Design als problemlösender Aktivität, wie sie sich im Westen etabliert hatte, wurde nun auch als Instrument der Entwicklungshilfe eingeführt. Neu gegründete Schulen wie das CDI in Montevideo kam dabei eine Schlüsselrolle zu.[1]
Die Forschungsarbeit der Masterstudentin, geschrieben im historischen Bauhausgebäude fast 100 Jahre nach der Gründung der Avantgardeschule, legt nicht nur Zeugnis ab von der „longue durée“ des problematischen Narrativs, das die Profession der Designerin als essenziellen Baustein einer industriellen Moderne beschreibt, sondern die Studie enthüllt auch die enge Verwobenheit der Disziplin mit (Neo-)Kolonialismus und Imperialismus.
Das historische Bauhaus in Dessau wird in der Geschichtsschreibung unmittelbar mit der Formierung jener Gestalter*innenfigur verbunden, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für ihre zutiefst problematische Allianz mit der Massenkonsumgesellschaft, mit der damit verbundenen rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Umweltzerstörung kritisiert wird, die neue Entwürfe eines sozial verantwortlichen und umweltgerechten Gestaltungshandelns erfordern. Victor Papenanek (1923–1998) zählte zu den frühen Protagonist*innen einer radikalen Kritik am Konsumerismus und einer Reorientierung der Designprofession als sozialer Praxis, die sich an den alltäglichen Bedürfnissen der vielen ausrichtet. Dazu gehörten auch sein Engagement für die damals als „dritte Welt“ bezeichneten Regionen und seine Impulse für die Neuausrichtung an lokalen Ressourcen und Kulturen des Machens. Heutige Bewegungen des Social Design und Transition Design knüpfen an die Impulse an, die Papanek in den 1970er-Jahren setzte.
Was diese Kritiker*innen eint, ist auch das Ringen um das problematische moderne Erbe der Profession, zu dem auch das historische Bauhaus gehört.
Mit dem Ziel „Gestalter hervorzubringen, die durch ihre Kenntnis von Material und Arbeitsprozess in der Lage waren, die industrielle Production ihrer Zeit zu beeinflussen”, hatte Walter Gropius die Agenda der Dessauer Bauhauswerkstätten beschrieben. Tatsächlich bewegte sich das Bauhaus im Kontext einer Reihe von Ausbildungsstätten, die sich der Frage einer neuen Profession des/der Künstler-Gestalter*in in der kapitalistischen Industrieproduktion stellten. Bereits die Gründung der Kunstgewerbeschulen als imperiale Instrumente der Qualifizierung der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt und im Verbund mit dem Deutschen Werkbund kanalisierte einerseits das „Künstlerproletariat”, jene „überflüssigen“ Schüler überfüllter Kunstakademien, und ebnete zugleich einer neuen Künstler*innenidentität den Weg. Seine prekäre Position in der kapitalistischen Wirtschaft wurde nun transformiert in die des avantgardistischen Gestalters.
In die DNA der neuen Profession des/der Gestalter*in sind insofern spezifische Konditionen und Wissenssorten eingetragen, die sich in der Verbandelung der Disziplin mit westlicher industrieller Modernisierung, Konsumgesellschaft und technischem Progress abbilden. Und es ist eben jenes als universal gültig verstandene Modell, das dann von Lehrenden, mit Publikationen und in akademischen Austauschformaten weltweit exportiert wurde und in neu gegründeten Gestaltungsinstitutionen wie dem CDI in Montevideo Schule machten. Der Bezug zur Autorität des Bauhauses spielte dabei eine zentrale Rolle.
Das vorliegende Journal setzt sich mit dieser zutiefst ambivalenten, den Logiken westlicher Moderne inhärenten Formierung des/der neuen Gestalter*in auseinander, ohne dabei jedoch den hegemonialen Narrativen linearer Designgeschichtsschreibung zu folgen, die oft in der Avantgardeschule Bauhaus ihren Ausgang nahmen. Vielmehr versteht sich das Journal, welches im Kontext des digitalen Atlas „Schulen des Aufbruchs“ entstanden ist, als eine Assemblage von Beiträgen, die der konstanten Neuproduktion von Relationen und Bedeutungen zwischen Schulen, Akteuren, Dingen und Ideen folgt. So könnte ein dynamisches virtuelles und offenes Gefüge des ineinander verwobenen Lernens als transkulturelle Praxis entstehen. Dies ist das Anliegen des vorliegenden E-Journals, das den verzweigten Pfaden der Formierung der Profession der Designer*in im Kontext neuer Gestaltungsschulen folgt.
Die mit dem Bauhaus verbundenen pädagogischen Ansätze sind dabei nicht als „Legacy“ im Sinne einer sich fortschreibenden Tradition begriffen, die um das „Original“ des Bauhauses kreist. Vielmehr verfolgen die E-Journale ein methodisches Verfahren, das auf Begriffe wie „Travelling Concepts“ und „Translation“ zurückgreift. Lernexperimente, Ideen, Materialien, Narrative und Medien radikaler Pädagogik wandern durch Zeiten und Räume; doch diese Bewegung folgt nicht dem linearen Verständnis eines universalen Geltungsanspruchs dieser Konzepte. Was hier interessiert, sind verzweigte und oft auch holprige Routen von Übersetzungsverläufen, die das Original – wie es Walter Benjamin in seinem Essay „Die Aufgabe des Übersetzers“ vorschlug – nur noch wie „die Tangente den Kreis flüchtig und nur in einem Punkte “ berühren und ebenfalls zeitlichen Wandlungen ausgesetzt sind.[2] Wie lassen sich diese „acts of translation“ in historischen Zusammenhängen als unaufhörliche Produktion von Bedeutungen durch den Wechsel von Kontexten erfassen? Die Journale strukturieren sich entlang von Diskursfiguren „travelling concepts of design and art education“; die mit jeweils wechselnden Konnotationen und Bedeutungszuschreibungen die Suchbewegungen der Schulen und Initiativen in ständigem Austausch und Bewegung halten. Wie entgeht man dabei der Verlockung eines kontinuitätsstiftenden Verständnisses von „Legacies“, die sich mit der Bauhaustradition verbinden? Indem auch Bruchlinien, Nichtübersetzbares, Verwerfungen in den Blick geraten, die historische Veränderungsprozesse, wie Doris Bachmann Mehdick betont, „in spannungsreiche Konfrontation mit Gegensätzlichem/Ähnlichem [setzen] und damit ein gebrochenes Bedeutungsspektrum durch historische Verwerfungen zur Anschauung“ bringen.[3] Die Travelling Concepts beschreiben insofern eher Pfade, „routes of appropriation“, die anstelle der Vorstellung eines zeitlichen Verlaufs von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Bewegungen zwischen unterschiedlichen Geografien, Zeiten und Kulturen verfolgen.
Diesen „holprigen Pfad“ der Formierung neuer Designer*innen, die im Geflecht von Wissensregimes, Technologien, Ökonomien, institutionellen Rahmungen, Materialkulturen und sozialen Praktiken Gestalt gewinnen, will dieses Heft nachgehen. Insofern werden die Beiträge in ihrer Zusammenschau keine klare Reiseroute vorschlagen, entlang derer die Bewegungen der Formierung und Disziplinierung der Gestalter*in durch wechselnde Zeiten, Räume und Geografien nachvollziehbar werden. Vielmehr sind es die Umwege, Sackgassen und Missverständnisse, das Abstandnehmen und die Verwerfungen, die den vielfältigen Suchbewegungen nach sozial und ökologisch verantwortlichem Designhandeln in historischen und aktuellen Umbruchprozessen eine Stimme geben.