Zu Beginn der 1930er-Jahre planten der Amsterdamer Publizist und Künstler Hendricus Theodorus Wijdeveld sowie der Berliner Architekt Erich Mendelsohn eine europäische Kunstschule an der südfranzösischen Riviera. Wenngleich die Aufnahme des Lehrbetriebs letztlich an den politischen Realitäten scheiterte, war das ambitionierte Vorhaben doch so weit vorangeschritten, dass Konzeption und Anspruch klar formuliert vorlagen. Über eine Aktiengesellschaft konnte die Finanzierung gesichert und ein großes Grundstück in Cavalière zwischen Le Lavandou und Saint-Tropez angekauft werden.
Broschüren mit organisatorischem Fahrplan und Curriculum wurden in fünf Sprachen gedruckt, Pläne für Studios, Büros und Wohneinheiten gezeichnet sowie Künstler*innen aus unterschiedlichen europäischen Ländern als Lehrkräfte angeworben, unter ihnen der britische Bildhauer und Typograf Eric Gill, der deutsche Komponist Paul Hindemith und der spanische Bildhauer Pablo Gargallo. Das Lehrprogramm war multidisziplinär angelegt: Neben der Trias Malerei, Skulptur und Architektur gab es Abteilungen für Innenraumgestaltung, Bühnenkunst, Typografie, Keramik und Textildesign, darüber hinaus postgraduale Kurse in Musik, Tanz, Fotografie und Film. Über ein comité d’honneur, ein Ehrenkomitee, dem bedeutende Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik angehörten – angefangen bei Albert Einstein über die Architekten Hendrik Petrus Berlage, Auguste Perret und Henry van de Velde bis hin zur Kunstsammlerin und Mäzenin Hélène de Mandrot und zum Literaten Paul Valéry – wurde das Vorhaben intellektuell verankert und mit multiplikatorischer Wirkung vernetzt.
Die Inspiration für das Projekt kam zweifellos vom Bauhaus, dessen Konzept und Genese beide Initiatoren kannten und im Blickfeld hatten. Doch ging es Wijdeveld und Mendelsohn um mehr als um einen Transfer der deutschen Reformkunstschule in den sonnigen Süden. Die Benennung ihrer künstlerischen Ausbildungsstätte als Académie Européenne Méditerranée (AEM) war programmatisch. Sie wurde damit bewusst vom Werkstattideal ihres Referenzobjekts abgesetzt, implizierte europäisches Gedankengut und rekurrierte auf das klassische Erbe des Mittelmeerraums zur Identitätsstiftung. Mit der Einbindung des Malers Amédée Ozenfant als drittem Direktor wurden Spezifika der französischen Moderne wie purisme und retour à l’ordre aktiviert, die sich im literarischen wie geschichtsphilosophischen Kontext der pensée de midi und der longue durée verorten lassen.