Hendricus Theodorus Wijdeveld – bekannt als Architekt der Amsterdamer Schule sowie als Bühnenbildner und als Herausgeber des Kunstmagazins Wendingen – publizierte 1931 sein seit Mitte der 1920er-Jahre verfolgtes Konzept einer „international werkgemeenschaap“. Er legte darin ein Vorhaben dar, das, angelehnt an die Handwerkergilden der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, viele bauhausaffine Aspekte aufwies. In dem niederländischen Arkadien der Loosdrechter Seenlandschaft sollte eine Einrichtung entstehen, wo Lehrende und Schüler*innen, Architekt*innen, Künstler*innen und Handwerker*innen zusammen wohnten und arbeiteten. Seinen holistischen Ansatz der Durchdringung von Lernen und Leben fasste er unter dem Motto „Arbeitsgemeinschaft. Keine Schule!“ zusammen.

Geplant waren neben der Architektur als Mutterdisziplin Abteilungen für Metall-, Glas- und Holzbearbeitung sowie für Keramik, Typografie und Textiltechnik. Begleitet von theoretischen Fächern und einem anspruchsvollen kulturellen Programm sollte das Angebot durch gemeinsame Mahlzeiten, Sport und Freizeit sowie Arbeit in der angegliederten Landwirtschaft abgerundet werden. Die der Publikation eingefügten architektonischen Entwürfe zeigen einen spektakulär modernen Gebäudekomplex. Er wird auf dem in lebhaftem Gelb und Rot gehaltenen Cover in abstrahierter Form aufgenommen. Einen Dampfer assoziierend, liegt er auf einem globalen, die fünf Kontinente verbindenden Kommunikationsnetz. Programmatisch setzt Wijdeveld den Fokus – im Unterschied zum Bauhaus – auf die Bildung einer multinationalen und polyglotten Gemeinschaft, die kreative Energien aktivieren soll.

Wenngleich Wijdeveld die Rolle der Niederlande im internationalen Diskurs als führend einschätzte, fand sein Konzept im Ausland größere Resonanz als im Inland. So griff Frank Lloyd Wright wesentliche Elemente für seine Taliesin Fellowship auf und Erich Mendelsohn konnte Wijdeveld für eine Umsetzung an der französischen Mittelmeerküste gewinnen. Letztendlich verwirklichte Wijdeveld seinen ursprünglichen Plan eines „niederländischen Bauhauses“ in bescheidenerer Version bei Hilversum. An seiner unter dem Namen Elckerlyc (dt. Jedermann) 1937 eröffneten Arbeitsgemeinschaft unterrichtete er einen kleinen Kreis von Schülerinnen und Schülern in den Fachbereichen Architektur, Bühnengestaltung und Ausstellungsdesign. 1941 wurde seine Einrichtung von den Nationalsozialisten geschlossen.

Ita Heinze-Greenberg

vertritt an der ETH Zürich die Professur Kunst- und Architekturgeschichte. Nach einem Studium der Kunstgeschichte und Philosophie befasste sich ihre Dissertation mit Erich Mendelsohns Bauten und Projekten im britischen Mandatsgebiet Palästina. Ita Heinze-Greenberg lehrte am Technion in Haifa sowie an der Bezalel Akademie in Jerusalem, an der Universität Augsburg, der TU München und der TU Delft. Sie forscht seit 2012 als Senior Scientist am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich. Ita Heinze-Greenberg arbeitet ausserdem als freie Autorin. Forschungsschwerpunkte und Publikationen von Ita Heinze-Greenberg umfassen die Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts mit Fokus auf dem Neuen Bauen im mediterranen Raum, speziell in Israel, im Kontext von Migrationsforschung, Identitätskonstruktionen und nation-building. 2019 hat sie beim Zürcher gta-Verlag die Publikation “Die Europäische Mittelmeerakademie. Hendricus Th. Wijdeveld, Erich Mendelsohn und das Kunstschulprojekt an der Côte d’Azur” vorgelegt.

Cover der deutschsprachigen Ausgabe von Hendricus Th. Wijdevelds Publikation "Eine internationale Arbeitsgemeinschaft", erschienen 1931 in Santport. (Privatarchiv Ita Heinze-Greenberg)
Hendricus Th. Wijdeveld, zweite Entwurfsversion für eine Kunstschule an den Loosdrechter Seen, 1929/30 publiziert in: Hendricus Th. Wijdeveld. Eine  internationale Arbeitsgemeinschaft. Santport: 1931 (Privatarchiv Ita Heinze-Greenberg)
Hendricus Th. Wijdeveld, Entwurf für die Arbeitsgemeinschaft in Lage Vuursche, Vogelperspektive, 1933 (The Wijdeveld Archive, Het Nieuwe Instituut, Rotterdam)
Hendricus Th. Wijdeveld in Lage Vuursche, zweite Hälfte 1930er-Jahre (The Wijdeveld Archive, Het Nieuwe Instituut, Rotterdam)
Gebäude der Arbeitsgemeinschaft Elckerlyc in Lage Vuursche, Aufnahme um 1937/38 (The Wijdeveld Archive, Het Nieuwe Instituut, Rotterdam)