Von dem Künstler und Kunsttheoretiker Josef Vydra (1884–1959) und dem Verwaltungsbeamten Antonín Hořejš (1901–1967) gegründet, entstand in Bratislava zwischen 1928 und 1939 die Kunstgewerbeschule (ŠUR) als eine neue Keimzelle der tschechoslowakischen Avantgarde. Ähnlich wie das Bauhaus sollte die Schule moderne Gestalter*innen für Handwerk, Industrie und Reklame ausbilden und damit die beginnende Modernisierung der Slowakei fördern.

Nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn (1918) sollte in der noch jungen demokratischen Tschechoslowakischen Republik die Reform der Kunstgewerbeschulen durch eine enge Verzahnung von Kunst, Handwerk und Industrie vorangetrieben werden. Unterstützt vom Ministerium für Handel und Industrie und später ebenso vom Ministerium für Bildung und staatliche Aufklärung war das Ziel der ŠUR, durch die Ausbildung moderner Gestalter*innen, den Anschluss der slowakischen Industrie an internationale Märkte zu finden und gleichzeitig zur Abschaffung des „Künstlerprekariats“ beizutragen. Aus der Politik erhielt Vydra die nötige ideelle und technische Unterstützung, um eine den internationalen Vorbildern entsprechende Ausbildung zu ermöglichen, ohne sich mit bereits bestehenden Strukturen oder konservativen Kolleg*innen auseinandersetzen zu müssen.

Als Mieterin in einer staatlichen industriellen Schule begann die ŠUR im November 1928 mit Abendklassen, die weitestgehend in dieser Struktur bis zur Schließung 1939 beibehalten wurden. 1930 zog die ŠUR um und wurde an eine örtliche Gewerbeschule angeschlossen, die kurz zuvor in einen funktionalistischen Neubau eingezogen war. Vydra übernahm die Leitung beider Schulen. Unterrichtet wurden Malerei, Grafik, Fotografie, Keramik, Mode und Textil, Metall- und Holzarbeit, Schaufenstergestaltung und Film, zudem wurden auch spezielle Kinderkurse angeboten. Eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie erlaubte der ŠUR die nötige Freiheit in der Lehre. Lehrende waren zumeist junge, progressive Gestalter*innen aus dem Ausland oder mit Auslandserfahrung. Es fanden öffentliche Ausstellungen und Vorträge in Bratislava statt und die ŠUR nahm an internationalen Ausstellungen wie der Weltausstellung in Brüssel 1935 und der Weltfachausstellung in Paris 1937 sowie an Konferenzen teil. Zu Gastvorträgen wurden unter anderen László Moholy-Nagy, Jan Tschichold und Hannes Meyer eingeladen. Inspiriert war der Unterricht ebenso von Josef Albers, mit dem Vydra bis zur Schließung der ŠUR in Kontakt stand.

1938 waren die tschechischen Lehrenden der ŠUR (inklusive Vydra) gezwungen, die Slowakei zu verlassen. Ľudovít Fulla, der Leiter der Malerei, übernahm daraufhin die Leitung, konnte die Schule jedoch nicht vor dem Aus bewahren. Der neue totalitäre slowakische Staat (1939–1945) war an einer progressiv und transkulturell ausgerichteten Bildung nicht interessiert. Demzufolge wurde die ŠUR am 1. Oktober 1939 endgültig geschlossen. Wegen der Machtübernahme eines nach stalinistischem Vorbild ausgerichteten Regimes 1948 gelang es auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, die ŠUR wiederzubeleben.

Gebäude der Kunstgewerbeschule und ŠUR in Bratislava, 1930er, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu
László Moholy-Nagy besucht die ŠUR, 1931, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
Tintenfässer, studentische Arbeit der Metallwerkstatt der ŠUR, 1935, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
Mikuláš Galanda im Klassenzimmer, 1930er, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
Studentinnen der Modeklasse an der Kunstgewerbeschule (ŠUR) in Bratislava, 1930er-Jahre, Autor unbekannt, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
Theoriestunde an der ŠUR, 1930er, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
Metallschalen, Metallwerkstatt ŠUR, 1930s, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu  
František Malý, Vorhangstoff aus Wolle, 1936, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu   
Arbeit in der Keramikwerkstatt, 1930er, © Archiv Iva Mojžišová / Slovensk múzeum dizajnu