Wie entwickelt man ein Lernprogramm für Communities, die von den Realitäten des Kolonialismus marginalisiert wurden? Vielleicht hat sich Lena Meyer-Bergner diese Frage gestellt, als sie um 1939 von der Regierung des mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas den Auftrag erhielt, einen Lehrplan für die Weber*innen der Otomí in der Region Ixmiquilpan im Mezquital-Tal zu erarbeiten – ein Vorhaben, das nie ausgeführt wurde.
Zwischen 1939 und 1949 nahm Meyer-Bergner an verschiedenen Projekten teil. So arbeitete sie am Grafikdesign des Katalogs Construyamos Escuelas (Lasst uns Schulen bauen), mit dessen Erstellung Hannes Meyer vom CAPFCE (Comité Administrador del Programa Federal de Construcción de Escuelas) beauftragt worden war. Als Gastkünstlerin der Gruppe Taller de Grafica Popular (Werkstatt der Volksgrafker, TGP) befasste sie sich mit grafischen Techniken und visueller Kultur in der mexikanischen Bildsprache. Das war etwas, was sie vermutlich nicht kannte, bevor sie im neotropischen Raum lebte.
Aber was geschah in Mexiko, bevor und während Meyer-Bergner in dem Land lebte? Die sozialen Revolutionen vom Anfang des 20. Jahrhunderts führten in Mexiko zu mehreren Agrar- und Bildungsreformen, die Teil von Präsident Lázaro Cárdenas’ Agenda waren. Während seiner Amtszeit wurden Hannes Meyer und Lena Meyer-Bergner eingeladen, Teil der „demokratischen und antiimperialistischen Bewegung“[1] zu werden, die die Regierung fördern wollte. Im Rahmen dieses nationalen Projekts wurde der Plan implementiert, die nationale Produktion in Verbindung mit der industriellen Entwicklung und kapitalistischen Produktionsmethoden zu fördern. Auch die Integration der Kunsthandwerker*innen in andere von Hand ausgeführte Arbeitsaktivitäten war Teil der Strategie.[2]
Eine der Studien, die auf Veranlassung der Regierung durchgeführt wurden, veröffentlichte Francisco Rojas Gonzales im Januar 1939. Dieser Artikel war Meyer-Bergner unter dem Titel Las Industrias Otomíes del Valle del Mezquital bekannt. Ihre Spanischkenntnisse erlaubten es ihr, sich in einer Gesellschaft mit hohen Sprachbarrieren zurechtzufinden. Man darf nicht vergessen, dass zu jener Zeit nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung Spanisch lesen oder schreiben konnte. Die Otomí dagegen hatten ihre eigene Sprache. Daher könnte ein eher grafischer Lehransatz erwogen worden sein. Viele von Meyer-Bergners Briefen belegen ihr Bestreben, ihre Zeichentechnik zu verbessern, etwas, was sie bei der TGP ausgiebig üben konnte.
Während ihrer Reisen durch Mexiko lernte sie die Otomí-Communities höchstwahrscheinlich selbst kennen und tauschte mit ihnen Erfahrungen aus. Einer der Gründe, die das vermuten lassen, ist Meyers und Meyer-Bergners ausgiebige Feldforschung über die Stadtplanung in der Region der Ixtapalapa sowie in Veracruz, wo ein Teil der Otomí lebt.
[1] Lena Meyer-Bergner (Hg.). Hannes Meyer. Bauen und Gesellschaft. Schriften. Briefe. Projekte. Dresden: Verlag der Kunst, 1980, S. 281.
[2] Nora Jiménez. Artesanías y saberes tradicionales. Michoacán, Mexiko: El Colegio de Michoacán, 2015, S. 339.